Kritisch fällt der EU-Fortschrittsbericht zur Türkei aus. Von Kroatien wird die Auslieferung von Kriegsverbrechern verlangt. Mit Mazedonien kann sich ein weiteres Balkan-Land konkrete Hoffnungen auf baldigen EU-Beitritt machen.

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Für die EU-Beitrittskandidaten und die potenziellen Kandidatenländer war der Mittwoch so etwas wie ein Zeugnistag, als die EU-Kommission im Brüssel die Fortschrittsberichte mit den Bewertungen der Fortschritte der einzelnen Staaten vorlegte. Mit Spannung waren insbesondere die Berichte zur Türkei und zu Kroatien erwartet worden, mit denen die EU am 4. Oktober formal Beitrittsverhandlungen eröffnet hatte. Die Eröffnung der einzelnen Verhandlungskapitel wird vermutlich unter österreichischer EU-Präsidentschaft 2006 erfolgen.

Wie DER STANDARD bereits berichtet hatte, zeigte sich die EU-Kommission mit den wirtschaftlichen Reformen in der Türkei zufrieden. Die Türkei könne als "funktionierende Marktwirtschaft" angesehen werden. Damit ist eines der Kopenhagener Beitrittskriterien erfüllt. Insgesamt fällt die Beurteilung aber kritisch aus.

So heißt es, dass Menschenrechtsverletzungen zwar seltener geworden seien, aber immer noch vorkämen. "Es ist dringend notwendig, dass die geltenden Rechtsvorschriften tatsächlich angewandt und in einigen Bereichen zusätzliche gesetzgeberischer Maßnahmen ergriffen werden." Auch Folter und Misshandlungen kämen immer noch vor "und es muss energischer für die tatsächliche Ahndung dieser Straftaten gesorgt werden", fordert die EU-Kommission.

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn wies bei der Vorstellung des Berichts mehrfach darauf hin, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei nicht voll gewährleistet sei. Auch Gewalt gegen Frauen und den Umgang mit nicht muslimischen religiösen Minderheiten sieht die Brüsseler Behörde als Probleme an. Kritisiert wird auch, dass die Streitkräfte noch immer starken Einfluss ausüben. Unterm Strich zieht Brüssel das kritische Fazit, dass sich in der Türkei das "Reformtempo 2005 verlangsamt" habe.

Kroatien

Auch Kroatien bekommt den Status einer funktionierenden Marktwirtschaft zugebilligt. Die Beurteilung der politischen Kriterien fällt deutlich positiver als bei der Türkei aus. Allerdings besteht die EU auf der Auslieferung des flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ante Gotovina an das UN-Kriegsverbrechertribunal, sonst könnten die Beitrittsverhandlungen gestoppt werden, wird gedroht. Weiters sind nach Ansicht der EU Justizreformen nötig, um den Kampf gegen die Korruption zu verschärfen und Minderheitenrechte ausreichend zu garantieren.

Mazedonien

Auf einhellig positive Reaktionen stieß der EU-Bericht in Mazedonien. Denn ausdrücklich tritt die EU-Kommission dafür ein, dem Land den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Rehn betonte jedoch, dass noch kein kon kretes Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen festgesetzt worden sei. Schwächen sieht er vor allem in den Bereichen Verwaltung und Justiz. Den anderen Ländern des Westbalkans – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro und Kosovo – wird die EU-Mitgliedschaft weiterhin in Aussicht gestellt. (DER STANDARD, Print, 10.11.2005)