Ruth Wodak: "Wir brauchen sachliche Diskurse statt irrationaler, vorurteilsbehafteter Polarisierung."

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Sprache kann Gewalt indirekt vorbereiten und auch legitimieren, erklärt die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak im derStandard.at- Interview am Beispiel der politischen Rhetorik konservativer und rechtspopulistischer Politiker in Frankreich und Österreich. Die Fragen stellte Heidi Weinhäupl.

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derStandard.at: Frankreichs Innenminister Sarkozy machte in den ersten Tagen der Krawalle in Paris durch harte Worte auf sich aufmerksam – er bezeichnete die Randalierer als "racaille" (Gesindel) und kündigte an, das "Krebsgeschwür" urbaner Gewalt "ausmerzen" zu wollen. Wie beurteilen Sie die Rolle derartiger Aussagen in der Eskalation der sozialen Unruhen in Frankreich?

Ruth Wodak: Dies ist ein durchaus tradierter metaphorischer Wortschatz zur Bezeichnung von "Fremden", der in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert vor allem für Juden verwendet wurde: Diese wurden mit Parasiten- (siehe "Mein Kampf") und Krankheitsmetaphorik belegt. Inzwischen wird gerade die Krebs- wie auch Aidsmetaphorik in vielen Ländern zur Bezeichnung von MigrantInnen und dem so genannten "Einwanderungsproblem" verwendet, allerdings vor allem von der extremen Rechten. "Ausmerzen" ist im Deutschen vom NS-Sprachgebrauch her, Stichwort Euthanasie, überhaupt sehr negativ konnotiert. Den Gebrauch solcher Metaphern, Vergleiche und Bezeichnungen halte ich für verheerend, da dadurch Menschen entmenschlicht und diffamiert werden. In jedem Fall wird eine negativ bewertete Outgroup durch solche Bezeichnungen und Attribute wie Metaphern diskursiv geschaffen. Negative Eigenschaften werden dann auf die Gruppe hin generalisiert.

Da dies scheinbar offiziell von Regierungsseite in Frankreich jetzt so erlaubt und möglich ist, gewinnt dann ein solcher Sprachgebrauch auch eine eigene Dynamik, ist also auch im politischen Mainstream akzeptabel geworden.

derStandard.at: Vergleichbare Ausdrücke hatte man in den letzten Monaten bereits öfters gehört, vor allem im Zusammenhang mit der Debatte um verstärkte Polizei- und Videoüberwachung der Viertel von sozial Benachteiligten; beispielsweise kündigte Sarkozy "Säuberungen mit dem Hochdruckreiniger" an. Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen kann politische Rhetorik wie diese den Boden für reale Gewalt aufbereiten?

Wodak: Der direkte kausale Zusammenhang, der Aufruf zur Gewalt, ist wohl schwer nachweisbar. Die implizite Vorbereitung und Legitimierung von Gewalt sind hier, wenn die durch Medien verbreitete Übersetzung der Begriffe und Slogans zutrifft, wahrscheinlich gegeben, allerdings immer in Kombination mit anderen Faktoren. Sprache darf hier nicht unterschätzt werden - wie schon Karl Kraus sagte: Ohne Wörter bräuchte man keine Waffen.

derStandard.at: Jean-Marie Le Pen sprach im Zusammenhang mit den Krawallen von "ausländischen Horden", die Frankreich angreifen: Nicht nur in unseren Online-Foren werden Rassismus und Fremdenangst sprachlich auf besondere Art und Weise verpackt – "die Anderen" kommen als "Flut", sie sind "eine Stufe unter uns" und verkörpern Eigenschaften, die von den SprecherInnen anscheinend vermeintlich "überwunden" wurden (Religiosität, fehlende Hygiene, Sexualität, Kinderreichtum, Kriminalität oder die Unterdrückung der Frau, je nachdem). Was sind die Hintergründe dieses Sprachgebrauchs?

Wodak: Die Naturkatastrophenmetaphorik ist in vielen Sprachen und Ländern weit verbreitet. Sie unterstellt, dass man solchen Naturgewalten ohnmächtig gegenüber steht, die Gründe für Migration werden jedoch nicht angesprochen. Und AsylwerberInnen werden semantisch mit MigrantInnen in denselben Topf geworfen.

Dabei ist ein biologistisches und darwinistisches Weltbild implizit und teilweise explizit vorhanden, man denkt in Kategorien von "Untermenschen und Übermenschen", von "reifen Kulturen und weniger reifen Kulturen", was als rassistischer Sprachgebrauch gewertet werden kann. Denn einerseits werden dabei Sündenböcke konstruiert, andererseits Angst geschürt - obwohl beispielsweise Arbeitsplätze mit Sicherheit weniger durch die hunderttausenden Rumänen, die scheinbar vor unserer Tür standen (wie in Matouschek, Wodak, Januschek schon für 1989/90 beschrieben), gefährdet sind, als durch andere globale und lokale Entwicklungen.

derStandard.at: Die Sprache des FPÖ-Kandidaten Heinz-Christian Strache war im Wien-Wahlkampf mit diskriminierenden Aussagen gegenüber Muslimen und TürkInnen gespickt; er warb mit Slogans wie "Pummerin statt Muezzin". Wie wirkt sich ein solcher politischer Diskurs auf das politische Klima und die Einstellungen der Mehrheit gegenüber Minderheiten aus?

Wodak: Auch hier geht es um die Entfachung von religiösen Sentiments und Vorurteilen; es werden zwei Gruppen geschaffen - "die Katholiken" und "die Anderen", was ja nicht nur AusländerInnen aus der Türkei gegenüber wirksam wird, sondern auch gegenüber vielen österreichischen StaatsbürgerInnen mit anderem religiösen Bekenntnis. Wer ist also der "echte" Österreicher? Ist etwa der "katholische arische Mann" gemeint?

derStandard.at: Heinz-Christian Strache wird oft als Haiders Klon bezeichnet – inwieweit bedient er sich der selben rhetorischen Mittel und wo sind Unterschiede auszumachen?

Wodak: Was die FPÖ betrifft, ähnelt der 2005er-Wahlkampf dem Wahlkampf im Jahr 1999 in Vielem. Allerdings wurde 1999 weniger die religiöse Schiene gefahren; Haider's Metaphorik ist jetzt weniger präsent, doch die Ziele sind ähnliche. Haider bleibt und blieb auch manchmal durch kreative Metaphorik und Anspielungen indirekter, Strache ist als sehr explizit in seinen sprachlichen Mustern zu bewerten.

derStandard.at: Was würden Sie als sprachliche Gewalt bezeichnen und wie lässt sich diese erkennen?

Wodak: Sprachliche Gewalt lässt sich vor allem in Gruppenbildung erkennen, wenn dabei die Outgroup diffamiert und entmenschlicht wird. Dazu können noch implizite Aufforderungen kommen ("die gehören nicht hierher") oder das Schüren von Angst und die Attribution von Schuld für irgendwelche Misstände. Dies kann in Kombination letztlich auch Gewalt legitimieren.

derStandard.at: Ist es möglich, durch bewussten Sprachgebrauch in der Politik und in den Medien gegenzusteuern?

Wodak : Bewusster Sprachgebrauch ist sicherlich wichtig, also dass eine solche Sprache nicht automatisch von den Medien übernommen wird. Noch wichtiger erscheint mir jedoch eine differenzierte Berichterstattung über die Hintergründe, Funktionen und Ursachen dieses Sprachgebrauchs und der sozialen Phänomene. Den Ängsten muss entgegengewirkt werden, wir brauchen sachliche Diskurse statt irrationaler, vorurteilsbehafteter Polarisierung.