Cherie Blair in Arbeitskleidung.

Cherie Blair in Arbeitskleidung.
Manche reden von einer Einkaufsliste, andere von einem Wunschzettel, wieder andere von einem unüberlegten Schnellschuss, provoziert durch die vier Rucksackbomben, die am 7. Juli in London detonierten. In einem langen Brief haben die Spitzen Scotland Yards den britischen Premier Tony Blair wissen lassen, welche Vollmachten sie brauchen, um Terroristen das Handwerk zu legen. Ihre zentrale Forderung lautet, Verdächtige 90 Tage lang einzusperren, ohne dass Anklage erhoben werden muss.

Bis dato ist diese Frist auf zwei Wochen begrenzt. Der Polizei reicht eine solche Zeitspanne nach eigenen Angaben aber nicht aus, um globale Netzwerke aufzudröseln, echte Personen hinter gefälschten Pässen zu ermitteln und verschlüsselte Daten auf sichergestellten Computerfestplatten zu knacken.

Werkstatt eines Bombenbastlers

Beispiel Leeds. In einem Reihenhaus der nordenglischen Metropole stießen die Ermittler nach den Londoner Anschlägen auf die Werkstatt eines Bombenbastlers. Allein zwei Wochen habe man warten müssen, ehe die Sprengstoffexperten grünes Licht zum Betreten der Wohnung gaben, meint Andy Hayman, der federführende Polizeikommissar. Bis zum Abschluss der Untersuchungen seien noch einmal sechs Wochen vergangen. In einem solchen Fall sei es völlig unmöglich, binnen 14 Tagen Beweise zu sammeln.

Misstrauensvotum

Es ist Haymans Brief, auf den sich Blair in der Kraftprobe mit seinen widerstrebenden Parlamentariern beruft. Bisher hat der Regierungschef die Zweifler jedoch noch nicht überzeugt. Und so kann es passieren, dass er am Mittwoch eine derbe Schlappe bezieht, die fast schon an ein Misstrauensvotum grenzt.

Die Opposition ist breit gefächert, sie vereint Konservative, Liberale und Dissidenten der Labour-Partei in einer Art großen Koalition. Jemanden auf bloßen Verdacht hin drei Monate ins Gefängnis zu stecken, darin sehen die Kritiker den Anfang vom Ende des Rechtsstaats.

Verständnis für junge Palästinenser

Aber es geht nicht allein um den 90-Tage-Passus, es geht auch um die Meinungsfreiheit. Ein Labour-Veteran wie Bob Marshall-Andrews sieht sie gefährdet durch ein Gesetz, das jemanden bestrafen will, wenn er den Terror "glorifiziert" oder zur Gewalt anstiftet. "Müsste Cherie Booth dann nicht auch hinter Gitter?", fragt Marshall-Andrews und genießt die Lacher, geht die Spitze doch gegen eine Frau, die nicht nur eine hochkarätige Anwältin ist, sondern auch die Gattin des Premiers.

Cherie Booth, noch immer unter ihrem Mädchennamen praktizierend, hat einmal Verständnis für junge Palästinenser geäußert, die sich, all ihrer Hoffnungen beraubt, einen Sprengstoffgürtel um den Bauch schnallen. Hat sie damit den Terror glorifiziert? Streng genommen, sticheln Blairs Gegner, müsste bald auch seine Ehefrau einsitzen. (DER STANDARD, Printausgabe, 9. 11.2005)