Der Migrationsexperte Rainer Bauböck sieht die derzeitigen Jugendunruhen keineswegs als französisches Spezifikum an. Ein Potenzial für ähnliche Ausschreitungen gebe es "in vielen europäischen Staaten mit einer Kombination aus großer Einwanderung und struktureller Arbeitslosigkeit", sagte der Wiener Politikwissenschafter am Montag.

Bei der Integration von Einwanderern habe es in fast allen europäischen Staaten Versäumnisse gegeben, sagte Bauböck mit Blickrichtung auf die Konzentration ausländischer Bevölkerung in bestimmten Wohngebieten. Unterschiede gebe es aber in der sozialen Situation der Migranten. Österreich sei diesbezüglich in einer glücklicheren Lage, weil etwa die Arbeitslosigkeit unter ausländischen Jugendlichen relativ niedrig und auch ihre Wohnsituation nicht so desolat sei. "Der soziale Frust ist in Österreich nicht im selben Ausmaß vorhanden wie in Frankreich."

Besonders große Probleme sieht Bauböck auf die Staaten des Mittelmeerraums wie Spanien oder Italien zukommen, "weil sie Einwanderer hereinlassen, aber keine Integration entwickeln". Hier "braut sich ein ganz besonders übles Gemisch zusammen" aus irregulärer Einwanderung, unter schlechten Wohn- und Arbeitsbedingungen lebenden Ausländern und dem Gefühl der Einheimischen, es gebe eine unkontrollierte Migration. Nicht ausschließen wollte der Politikwissenschaftler auch ein Übergreifen der Unruhen auf Deutschland.

Zur Lösung des Problems müsse man vor allem Ansprechpartner innerhalb der Minderheiten finden "und sie einbinden in städteplanerische Entscheidungen und sozialpolitische Maßnahmen", forderte Bauböck: Er hob auch die Rolle der islamischen Glaubensgemeinschaft hervor, deren Führer "moderierend" auf gewaltbereite Jugendliche einwirken können. Die staatliche Anerkennung des Islam in Österreich sei in diesem Zusammenhang vorbildlich, da sie den Behörden einen "besseren Anknüpfungspunkt" gebe. (APA/DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2005)