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STANDARD: Weblogs beeinflussen die Meinungsbildung und werden auch von Journalisten vor allem als Recherchetool herangezogen. Doch nur rund 15 Prozent der PR-Verantwortlichen nutzen Weblogs für ihre Arbeit, vornehmlich um Themen- Monitoring zu betreiben. Wird die Blogosphäre von der Kommunikationsbranche unterschätzt?

Zerfaß: Ja, meiner Meinung nach schon. Viele glauben, dass es sich nur um eine neue Technologie handelt, die wie so viele Internet-Entwicklungen in den letzten Jahren von Beratern und Agenturen propagiert wird, aber nicht überleben wird. Die Skepsis ist durchaus berechtigt. Doch Weblogs schaffen nicht nur neue, authentische Kommunikationswege, sondern sie sind Ausdruck einer ganz neuen Kommunikationskultur. Wir haben das die "Google-Welt" genannt – eine Welt, in der jeder weltweit professionell publizieren kann und die Informationen zunehmend aktiv gesucht und nicht zentral verbreitet werden. Diesen Trend muss man im Auge behalten, und dafür eignet sich das angesprochene Themen-Monitoring recht gut.

STANDARD: Blogger fungieren als Meinungsmacher und Multiplikatoren. Wie wollen diese von der PR-Branche angesprochen werden? Welche Spielregeln müssen hier PR-Praktiker beherrschen. Ihre Tipps?

Zerfaß: Die Blogger-Szene ist gerade stark im Wandel. Alteingesessene Protagonisten der Szene versuchen, eine basisdemokratische Kultur durchzusetzen, in der jeder jeden duzt, offizielle Stellungnahmen von Unternehmen verdächtig sind, aber auch untereinander schnell einmal ein harscher Ton angeschlagen wird. Doch das ändert sich rasch.

Der Blick in Nachbarländer wie Frankreich und Großbritannien zeigt, dass sich in der Blogosphäre mit zunehmender Reife das ganz normale Leben widerspiegelt – engagierte Weltverbesserer gibt es ebenso wie kritische Kommentatoren und fachkundige Diskussionspartner. Einstellen muss man sich aber immer darauf, dass eine reine One-Way-Kommunikation nicht akzeptiert wird. Die Bereitschaft zum Dialog und zur inhaltlichen Auseinandersetzung müssen PR-Verantwortliche schon mitbringen. Genau das ist aber für erfolgreiche PR heute unverzichtbar.

STANDARD: Politikerblogs werden mittlerweile auch hierzulande als Tool von Wahlkampfkampagnen gezielt eingesetzt. Im Sinne der Personalisierung können beispielsweise auch von Unternehmen gehostete CEO- oder Executive Blogs helfen, einem Unternehmen ein Gesicht, eine emotionale Bindung zu erzeugen. Wo sehen Sie hier die Risiken?

Zerfaß: Wer ein Unternehmen oder eine Partei zu stark mit einzelnen Führungskräften verbindet, schafft Aufmerksamkeit, geht aber zugleich ein enormes Reputationsrisiko ein. Politikerrücktritte, persönliche Verfehlungen oder auch nur Wechsel zum Konkurrenten sind ja an der Tagesordnung.

Deshalb machen persönliche Blogs vor allem Sinn, wenn ein Unternehmen ohnehin untrennbar mit einem Kopf verbunden ist, zum Beispiel bei eigentümergeführten Firmen. Und natürlich im Bereich der internen Kommunikation – per Blog von den Gedanken des neuen Chefs zu erfahren und das kommentieren zu dürfen, das hat schon etwas und funktioniert ganz gut, beispielsweise bei Siemens weltweit.

STANDARD: Ihre Strategie für Unternehmen, die eigene Blogs etablieren wollen? Wie ist die Herangehensweise, welche Punkte müssen geklärt, welche berücksichtigt werden?

Zerfaß: Das Wichtigste ist, sich mit den Spielregeln und Mechanismen der Meinungsbildung in der Blogosphäre vertraut zu machen. Wer weiß, wie sich Gerüchte und Kritiken verbreiten, und wie neue Ideen und Produkte durch positive Mund-zu-Mund-Kommunikation innerhalb weniger Stunden die Runde machen, kann das für eigene Strategien nutzen.

Ein systematisches Blog-Monitoring macht ebenso Sinn wie die Angewohnheit, wichtige Blogs für die eigene Branche zu lesen und dort mitzudiskutieren. Eigene Blogs sollte man erst aufsetzen, wenn es klare Zielsetzungen, kompetente Autoren und vor allem die Bereitschaft zur aktiven, authentischen und dialogischen Kommunikation gibt.

STANDARD: Welche Blogs besuchen Sie persönlich regelmäßig, welche empfehlen Sie PR-Verantwortlichen, die sich mit der Blogthematik beschäftigen wollen?

Zerfaß: Meine persönliche Favoriten sind das Blog von Online-Ikone Dan Gillmor ( bayosphere.com ) und als guter Einblick in die europäische Blog-Diskussion die Website von Loic Le Meur ( loiclemeur.com ) aus Frankreich. Wer mehr über den Einsatz von Weblogs, Podcasts und Social Software in der PR wissen will, sollte prblogger.de oder meinungsmacherblog.de besuchen. (DER STANDARD; Printausgabe, 7.11.2005)