Die mutmaßliche Affäre um Falschbefunde in Niederösterreich ist für Patientenanwalt Gerald Bachinger Anlass, um nach Naturalrabatten und Fernreisen auch "grauen" Zusatzgeldern für Ärzte den Kampf anzusagen.

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St. Pölten/Wien - Wo immer um öffentliche Gelder gerungen werde, bestehe "eine große Anfälligkeit für Intransparenz und Korruption", kommentiert der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger die Affäre um mutmaßlich gefälschte ärztliche Befunde für Frühpensionsanträge. Wie berichtet, sollen ein niederösterreichischer Allgemeinmediziner und ein Computerexperte mindestens 25 Krankengeschichten verfremdet haben.

Pro Privatbefund hätten die Fälscher zwischen 8000 und 12.000 Euro kassiert, schilderten die Fahnder der NÖ Kriminalabteilung. Doch diese hohen Summen könnten umsonst geflossen sein: Aufgrund eines Privatbefundes werde kein Mensch mehr in krankheitsbedingte Frühpension geschickt - und sei auch in den vorliegenden Fällen niemand geschickt worden - hieß es von Seiten der Pensionsversicherungsanstalten.

Privatgeld in Behandlungen

Auch abseits versuchten Pensionsbetrugs - so Bachinger - sei jedoch auffällig, dass Menschen "bereit sind, sehr viel Privatgeld in Behandlungen zu stecken, von denen sie sich Vorteile versprechen". Etwa dort, wo sie als Kassenpatienten mit Wartelisten für Eingriffe wie Hüftoperationen konfrontiert würden.

Entnervte Patienten

Eine direkte Vorreihung nach einem Geldfluss an den Arzt wäre strafrechtlich belangbar - und kommt laut Bachinger selten vor. Zahlreicher jedoch seien Fälle, wo Doktoren entnervten Patienten in ihrer eigenen Privatpraxis raschere Behandlung als auf Kasse in Aussicht stellten, natürlich gegen Bares: Laut Bachinger ein "immer noch tabuisierter Graubereich", der jedoch "ähnlich dringlich wie das Problem der Naturalrabatte oder der von Pharmafirmen bezahlten Fernreisen für Ärzte" angegangen werde müsse, um für mehr Transparenz im Gesundheitswesen zu sorgen.

So habe sich vor kurzem eine Frau bei einer Patientenanwaltschaft beschwert. Ihr mehrfach behindertes Kind hätte nach einer Operation im öffentlichen Spital auf seine Nachbehandlung jeweils stundenlang warten müssen - für alle Beteiligten unzumutbar. Als der behandelnde Arzt vorschlug, das Kind gegen Aufzahlung als Privatpatient in seiner Praxis zu behandeln, willigte die Frau ein.

Doch dann stellte sich die Privatpraxis als nicht rollstuhlgerecht heraus. Worauf der Arzt kurzerhand beschloss, die kostenpflichtige Privatbehandlung im öffentlichen Krankenhaus durchführen: "Und da", so Bachinger, "ist der Frau der Geduldsfaden gerissen". Dies geschehe leider nur selten, da sich Patienten, die für Behandlungen "grau" dazuzahlten, in einer Win-Win-Situation wähnten. Doch die Geldflüsse schädigten die Allgemeinheit, "also jeden Beitragszahler - und das ist unethisch". (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 5/6.11.2005)