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Die Frau sucht Gott und verfehlt dabei den Menschen: Dorothee Hartinger als Erika mit Johann Adam Oest.

Foto: REUTERS/Herbert Neubauer
Mit seinem zum "Stück des Jahres 2005" erkorenen Drama "Der Bus (Das Zeug einer Heiligen)" entwirft Lukas Bärfuss auch eine Theorie des Individuums. Am Akademietheater gewährt Thomas Langhoff vor allem dem Text Raum - und seinen fantastischen Schauspielern.


Wien - Im Zeitalter des Zweifels und der ununterbrochenen Ichbefragung, in einer zufälligen Gemeinschaft aufgeklärter Postreligiöser bleibt eine standfeste Christin unnahbar. Ein Mensch, der sich an Gott wendet, sich dem Glauben hingibt und damit zwingend auch einen Teil seiner selbst einbüßt, so ein Mensch muss sich in einer aufgeklärten Gesellschaft sein Recht erst erfechten.

Diese Diskrepanz zwischen Ungläubigen und Glauben-Könnenden hat Lukas Bärfuss thematisiert. In seinem zu Jahresbeginn in Hamburg uraufgeführten und schließlich in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Stück des Jahres gewählten Drama Der Bus (Das Zeug einer Heiligen) entwirft der Schweizer Autor, Jahrgang 1971, damit auch eine Theorie des Individuums.

Pilgerstätte

Bärfuss, im Berner Oberland aufgewachsen, führt uns mitten hinein in eine Welt der voneinander Abgeschnittenen: zähnefletschende Einzelgänger, die bei der österreichischen Erstaufführung am Sonntag im Akademietheater in einem Bus durch eine von Peter Schubert märchenhaft gedachte nachtdunkle Waldkulisse (man könnte sie auch für Hänsel und Gretel verwenden) fahren. Unter ihnen eine junge Frau namens Erika (Dorothee Hartinger), die am Weg zur polnischen Pilgerstätte Tschenstochau irrtümlich den falschen Wagen genommen hat und sich nun mit den, wie sie erfährt, angehenden Kurgästen bei "Hermann Reisen" irgendwo im Wald befindet.

Scheiternde Menschen

Ist sie wirklich eine standhafte Christin oder doch ein Junkie, der sich in Polen bloß billigen Stoff besorgen will, oder gar eine in diese Gruppe Gottloser entsandte Heilige? Das Stück hält dies lange genug in Schwebe, um dann zu zeigen: Die Frau sucht Gott und verfehlt dabei den Menschen. Gott hätte ihr den "rechten Weg" gewiesen, er führt an eine Waldlichtung zu Antons Tankstelle. Hier lehnt ein in Schnaps getränkter Tankwart (Johann Adam Oest) an seiner Zapfsäule und hätte (hat) sie, Erika, geliebt.

Ein fantastischer Oest in Wollhaube und Blauzeug verantwortet hier nicht nur eine traumhafte Liebesszene, er demonstriert im furiosen Spiel das Dilemma an sich selbst: den am Menschen scheiternden Menschen, das Um-keinen-Preis-Zueinanderfinden und den daraus folgenden Rückzug in sich selbst (oder in den Wald).

"Glaubensartikel der Nichtgläubigen"

"Das Individuum ist so etwas wie eine letzte Ideologie, der letzte Glaubensartikel der Nichtgläubigen", so Bärfuss in einem Interview, und auf ihn schwören auch seine reisenden Businsassen. Zwei pausenlose Stunden lang ziehen sie in Thomas Langhoffs zurückhaltender, aber stilsicherer Regie im Roadmovie-Prinzip durch den Wald.

Allen voran ein großartiger Ignaz Kirchner als latent aggressiver Bus-Chauffeur Hermann: Von Erika, der einzigen noch zum Glauben Fähigen, der überzeugten Pilgerin im kurzen Röckchen, welcher Hartinger den Kampfgeist einer Jungscharführerin verpasst, von so einem klarsichtigen Menschen möchte er erlöst werden. Doch die Annäherung gelingt ihm nur mehr über Gewalttaten. Hermann bricht ihr die betenden Hände. Betende Hände, das versteht er nicht. Das bringt nichts, ein Affront gegen die Vernunft; ein Selbstbetrug, den er auf seiner Reise nun einmal nicht dulden kann. Die Verzweiflung an der Glaubensstarken eskaliert. Mit Billigung sowie gleichgültiger Hilfe seiner restlichen Fahrgäste (Sylvie Rohrer, Brigitta Furgler, Paul Wolff-Plottegg, Dieter Witting) plant er schließlich ihren Tod.

Müll und Gläubige

Während der Killer-Chauffeur auf einer Anhöhe in stürmischen Nebelschwaden das Grab (des Begehrens) schaufelt, gelingt Erika die Flucht (zum Tankwart) und schließlich doch noch zur Pilgerstätte, wo nur mehr die Reste einer - gleich welchen - religiösen Massenkundgebung übrig sind: Müll und aufgeheizte egozentrische Gläubige (Bibiana Zeller, Karl Mittner).

Langhoff hat diesem außerordentlichen Stück und den Schauspielern freien Lauf gelassen. Es hat funktioniert. In zum Teil schneller filmischer Schnitttechnik, die jeweils von metallischer Musik Bert Wredes begleitet wird, stellt er Szenen wie Lichtbilder ein. Einfach und präzise. Ein Glück für das Publikum. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2005)