Keine Halloween-Party in der deutschen Hauptstadt kann so gruselig gewesen sein, wie jene Szenen, die sich in der SPD seit Montagnachmittag abspielen. Chaos, Blamage, Irrsinn - in Krisensituationen sind das gern und schnell gebrauchte Worte, doch im Fall der SPD treffen sie zu. SPD-Chef Franz Müntefering verliert zuerst eine Machtprobe im Parteivorstand und dann die Nerven. Ausgerechnet der brave Parteisoldat "Münte" - einer der ergebensten Diener, den die Sozialdemokratie je hatte, das rote Urgestein aus dem Sauerland - stürzt die Sozialdemokraten in eine ihrer schwersten Krisen und bringt die große Koalition, die noch nicht einmal ein Neubau, sondern ein wackeliger Rohbau ist, womöglich noch vor ihrer Fertigstellung zu Fall.

Warum das Management by Müntefering zum Management by Chaos wurde, lässt sich nicht genau beantworten. Fakt ist: Müntefering ist in einer äußerst brenzligen innenpolitischen Situation die Kontrolle entglitten. Und es ist kurios, nahezu verrückt: Er scheiterte als Parteivorsitzender genau mit der Methode, die schon seinen Vorgänger Gerhard Schröder ins Abseits schlittern ließ.

Basta, basta, basta, ich will das jetzt so, es geht nicht anders - nur noch mit solchen Drohungen hat Schröder seine schärfsten Kritiker in der Partei, nämlich die Linken, auf Linie bringen können, bevor er im Frühjahr 2004 endgültig an der SPD-Spitze aufgab. Dann kam Müntefering und es wurde wieder kuschelig bei den Sozialdemokraten. Der Franz wärmte die Seele der Partei, tourte unermüdlich durch das Land, um auch den allerletzten kritischen Basisdemokraten von den Sozialreformen zu überzeugen.

Im Sommer wurde es doppelt anstrengend: Nach Schröders Neuwahlwunsch musste Müntefering auch noch die Wähler für die SPD einnehmen - ein ziemlich mühsames Unterfangen. Und in den letzten Wochen vereinte der 65-Jährige einfach zu viele Ämter in seiner Person: Parteichef, designierter Vizekanzler, künftiger Arbeitsminister, Hoffnung der SPD.

Da merkte Müntefering, was lange zuvor schon Schröder klar geworden war: Wer mächtig und autoritär sein will, kann nicht auf alle Rücksicht nehmen. Und er machte einen entscheidenden Fehler: Weil er die Koalition um jeden Preis wollte, ignorierte er die Wünsche der Partei, wollte seinen Getreuen Kajo Wasserhövel in Basta-Manier durchdrücken, unterschätzte die Unzufriedenheit und den Widerstand in den eigenen Reihen. Aber das Prinzip "Alte Partei-Männer befehlen, die jungen (Frauen) folgen", funktioniert im Jahr 2005 nicht mehr.

Nun verlangt sein Abgang der SPD nahezu Unmögliches ab: Sie muss wieder einmal in einer Feuerwehraktion einen neuen Parteichef küren. Ein solches Vorhaben ist schon nicht einfach, wenn die politische Großwetterlage halbwegs stabil ist, gilt es doch einen zu finden, der bei allen Parteiflügeln anerkannt ist und dessen Durchhaltevermögen ein wenig größer ist als das seiner Vorgänger. Im jetzt tosenden Sturm ist die Hau-Ruck-Personalkür ein Unding, denn es geht um eines der wichtigsten Ämter der deutschen Politik. Münteferings Nachfolger umweht schon jetzt der schale Geruch eines Notnagels.

Um nicht als Fahnenflüchtiger wie einst Oskar Lafontaine dazustehen, erwägt Müntefering weiterhin die Mitarbeit in einer großen Koalition (wenn sie denn kommt). Wie das funktionieren könnte, bleibt vorerst sein Geheimnis. Eine Zerreißprobe in der SPD scheint unausweichlich, denn unter ihrem neuen Chef wird die SPD wahrscheinlich weiter nach links rücken. Die Wasserhövel-Watschn für Müntefering war ja Ausdruck der Unzufriedenheit in der SPD über den großkoalitionären Kurs. Wie auch immer die SPD ihre Führungsfrage entscheidet - es wird monatelang dauern, bis dieser Scherbenhaufen aufgekehrt ist.

Kein Wunder, dass in dieser Instabilität schon der Ruf nach Neuwahlen laut wird. Und dann? Bekommt die Linkspartei 20 Prozent und die Bildung einer handlungsfähigen Regierung wird noch schwieriger, als sie jetzt schon ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2005)