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Foto: APA/dpa/EPA/Carmen Jaspersen
Darmstadt - Die Hamburger Schriftstellerin Brigitte Kronauer (64) ist am Samstag mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet worden, der höchsten deutschen Literaturauszeichnung. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verlieh der Autorin den mit 40.000 Euro dotierten Preis zum Abschluss ihrer Herbsttagung in Darmstadt. Das Präsidium der Akademie würdigte sie als "Meisterin des Vexierspiels, der höheren Heiterkeit und des musikalischen Schreibens". Sie richte "ihren Sinn für das scheinbar Banale, für Komik, Erotik und Sarkasmus hellhörig und präzise auf alles Doppelbödige in Gefühlen und Gesten".

Kronauer sprach sich in ihrer Dankesrede für das Recht auf Künstlichkeit in der Literatur aus. Diese Forderung untermauerte sie mit der Figur des Woyzeck in Georg Büchners (1813-1837) gleichnamigem Drama. Sie führte aus, dass auch Woyzeck, ein Prototyp des "kleinen Mannes", selbst in höchster Not komplexe Gedanken in einer für sein Milieu unpassenden Sprache geäußert habe. Damit habe der Dramatiker durch seine Figur eine wahre Revolution ausgerufen: "Nicht die Erkenntnis, dass, recht unverbindlich, alle Menschen Menschen und irgendwie auch Brüder sind. Vielmehr, dass kein Mensch, ob Überflieger oder nicht, flach ist, simpel ist."

"Reale Sprachlosigkeit"

"Büchners Protagonist wird nicht zurückgescheucht in die Sprachhülsen, in die reale Sprachlosigkeit seiner Klasse", sagte Kronauer. "Geschähe ihm das, würde es seinen Vorgesetzten und einem arrogant geschwätzigen Publikum bequem gemacht." Der Dramatiker habe genau gewusst, "dass Literatur mit ihren Charakteren und Geschichten immer etwas Künstliches, Inszeniertes, vom Leben Inspiriertes und ihm Verpflichtetes, aber nie von ihm Abgeschriebenes ist".

Zugleich wandte sich Kronauer gegen Verkürzungen und Verallgemeinerungen, wie man sie allzu leicht in das oft zitierte Büchner-Wort "Friede den Hütten! Krieg den Palästen!" interpretieren könne. Literatur müsse zwar oft ein "Gegner der Gesellschaft und ihrer zeitgeistlichen Zumutungen" sein, stelle aber stets "den treuesten und streng fordernden Freund des Individuums dar".

"Gewaltiger Effekt"

In seiner Laudatio würdigte der Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Patrick Bahners, das Werk der Autorin als "Schatzhöhle". In ihren Texten entstehe ein "gewaltiger Effekt von Dreidimensionalität". "Die Großartigkeit ihres Werkes liegt vor aller Leseraugen", sagte Bahners.

Akademie-Präsident Klaus Reichert äußerte sich während der Feierstunde besorgt über die Folgen einer großen Koalition für die Kulturpolitik. Diese drohe zu einer vernachlässigenswerten Größe zu werden, "die sich beliebig hin und her schieben lässt". Durch die unklare Haltung der designierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Zukunft des unter Rot-Grün geschaffenen Amts eines Kulturstaatsministers seien geeignete Kandidaten vergrault worden.

Neben Kronauer ehrte die Akademie den Philosophen Peter Sloterdijk mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. In seinem Werk sei er zu einem Erzähler geworden, "der Philosophie und Poesie wieder miteinander verbindet", begründete das Präsidium die Wahl. Mit stehendem Applaus würdigte das Publikum außerdem die Auszeichnung für den Psychoanalytiker und Schriftsteller Hans Keilson (95), der den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay erhielt. Beide Auszeichnungen sind mit jeweils 12.500 Euro dotiert. Im vergangenen Jahr war der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genazino Jahr der Träger des Georg-Büchner-Preises. (APA/dpa)