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Zahlreiche Bilder des 18. und 19. Jahrhunderts hielten die Katastrophe und ihre Folgen fest

Foto: Reuters/Lissabon
Lissabon - Vor 250 Jahren wurden Portugal, weite Teile der Iberischen Halbinsel und Nordwestafrika von einer der folgenreichsten Naturkatastrophen der Neuzeit heimgesucht: Ein Erdbeben, dessen Stärke nach Ansicht moderner Seismologen 8 bis 9 auf der Richter-Skala betrug und dessen Epizentrum vor der portugiesischen Küste lag, zerstörte Teile von Lissabon, ließ seismische Wogen (Tsunamis) über den Atlantik und in Richtung Nordeuropa rasen, bewirkte rätselhafte Naturerscheinungen in ganz Europa und erschütterte die geistigen Grundlagen auf dem Kontinent.. Die Katastrophe weist zahlreiche Parallelen zu dem Beben und der Flutwelle vom 26. Dezember 2004 in Südostasien auf.

Tag Null

Lissabon am 1. November 1755 gegen 9.45 Uhr: Ein Großteil der Bewohner weilte an dem schönen Herbsttag in den Kirchen, um den Allerheiligen-Gottesdiensten beizuwohnen, die Daheimgebliebenen bereiteten das Mittagessen vor. Plötzlich fing der Boden zu schwanken an, ein unterirdisches Grollen war zu vernehmen. Kurz darauf gab es einen etwa zwei Minuten dauernden fürchterlichen Erdstoß, der vor allem im Zentrum Lissabons zahlreiche Paläste, Häuser, Kirchen und Klöster zum Einsturz brachte und Menschen und Tiere begrub.

Ein weiterer gleich starker Erdstoß ließ noch verschonte Gebäude einstürzen, aus den Schuttmassen aufsteigender Staub verdichtete sich zu einer grauen Wolke, die stundenlang die Sonne verdunkelte. Herdfeuer und die in Kirchen umgeworfenen Kerzen setzten Trümmer in Brand, das Feuer tobte tagelang in Lissabon. Vernichtet wurden auch Warenbestände.

Tsunami-Wellen

Die Bewohner, die sich an das Ufer des Tejo zu retten versuchten, wurden von drei aufeinander folgenden Tsunami-Wellen überrascht, die vom Atlantik durch die Tejo-Mündungsbucht hereinrasten, einen Großteil der niedrig gelegenen Stadtteile überspülten, Schiffe an Land warfen und in den Tejo zurückrissen. Die Gesamtzahl der Todesopfer in dem damals etwa 275.000 Einwohner zählenden Lissabon betrug etwa 60.000. Es kam zu zahlreichen Plünderungen, auch durch Besatzungen fremder Schiffe, die sich im Hafen aufhielten.

Vollkommen zerstört wurde der Königspalast nahe dem Tejo-Ufer mit seiner Bibliothek von etwa 70.000 Bänden. Dabei wurden zahlreiche Dokumente vernichtet, aus denen hervorgegangen sein dürfte, dass die Portugiesen womöglich vor Kolumbus Land in der westlichen Hemisphäre - also den amerikanischen Doppelkontinent - entdeckt haben. Vernichtet wurde die Carmen-Kirche (Igreja do Carmen) am Osthang des Chiado-Hügels (sie wurde nicht wiederaufgebaut - die Zerstörungen sind heute noch zu sehen).

Flucht und Angst

Von der schon bei einem früheren Erdbeben 1344 schwer beschädigten, dann aber restaurierten Patriarchatskirche, der Se, wurden Apsis und Vierungskuppel zerstört (heute in einfacher Form wiederhergestellt). Schwer im Mitleidenschaft gezogen wurde auch das Kastell. König Jose (Josef) I. weilte zum Zeitpunkt des Bebens mit seiner Familie in dem westlich von Lissabon gelegenen Belem und entging so der Katastrophe.

Über 30 Nachbeben zählte man. Die zahlreichen in die nähere Umgebung der Stadt geflüchteten Obdachlosen wurden in Zelten und Holzhütten untergebracht, erst nach Monaten gab es bessere Unterkünfte. Viele der tiefgläubigen Menschen hatten Angst, ohne Beichte und Absolution zu sterben. Das führte bei den in Lissabon weilenden ausländischen Protestanten zu Besorgnis: Es kam vor, dass einige von ihnen katholische Taufzeremonien über sich ergehen lassen mussten.(APA)