Es ist ja nicht so, dass grippekranke Vögel in Schwärmen tot vom Himmel stürzen. Auch die Gefahr, dass wahnsinnig gewordene Rinder herdenweise zu einer finalen Stampede ansetzen, tot umfallen und uns nichts ahnenden Genießern als Tafelspitz aufgetischt werden, dürfte nicht sehr groß sein.

Wir können davon ausgehen, dass wir weit gehend geschützt sind. Dennoch: Es werden immer wieder Tiere auftauchen, die ohne erkennbaren Grund erkranken und sterben, bevor sie den uns natürlich scheinenden Weg in den Schlachthof oder vor die Flinte eines Waidmannes nehmen. Es können Mutationen von Viren und Eiweißen auftreten, die plötzlich tödlich wirken - was uns doppelt schreckt, weil erstens die nächste Mutation für uns Menschen bedrohlich sein kann und zweitens das alles so schwer erklärbar und noch schwerer steuerbar ist.

Wir haben uns aber an die Planbarkeit von Leben und Sterben gewöhnt. War nicht auch am Waldsterben das Erschreckendste, dass Bäume abgestorben sind, ehe der Forstmann sie für hiebreif erklärt und "geerntet" hat? Mit unserem menschlichen Leben gehen wir nicht viel anders um: Gerne sagen Sozialpolitiker dem "Sterben vor der Zeit" den Kampf an - klarerweise ohne zu sagen, wann denn wohl die "richtige Zeit" zum Sterben wäre.

So genau wollen wir es eh nicht wissen. Stattdessen lassen wir uns gerne von der WHO und anderen medizinstatistischen Experten vorrechnen, wie viele Todesfälle vermeidbar wären, wenn weniger geraucht und weniger gesoffen, weniger Auto gefahren und gesünder gegessen würde. Auch das ist Selbstbetrug: Die Erfahrung lehrt, dass, wer nicht an dem einen Übel stirbt, eben irgendwann einem anderen zum Opfer fallen wird. Kein Grund für Fatalismus - aber für demütige Besinnung, dass es ein todesfreies Leben nicht geben kann. (DER STANDARD-Printausgabe 31.10./1.11.2005)