"Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig." Als Gödel 1930 mit dem Unvollständigkeitssatz die Grenzen der Beweisbarkeit ausreizte, entfachte er einen Grundsatzstreit zwischen "Intuitionisten" und "Konstruktivisten".

Gleiches erleben wir in der Ökonomie: Nach den Verhaltensökonomen Kahnemann und Smith, die für ihre Studien zur (Ir-)Rationalität der Entscheidungen 2002 den Nobelpreis erhielten wurden nun die Spieltheoretiker Aumann und Schelling ausgezeichnet, die zeigten, dass Menschen sich in Interaktionen keineswegs "rational", nutzenmaximierend verhalten. Es sei falsch anzunehmen, "dass es gewöhnlich zu kollektiv zufrieden stellenden Ergebnissen führt, wenn der Einzelne seinen Anreizen folgt".

Ist das Menschenbild des homo oeconomicus eine Chimäre? Nicht Berechnungen, sondern Erfahrung und "Daumenregeln" leiten seine Entscheidungen, Neuigkeiten werden überbewertet, und der Vergleich mit Nachbarn und die eigene Befindlichkeit sind entscheidend. Nur zugeben will er nicht, dass er ein homo intuens ist: Nur jeder Fünfte gesteht, bei Entscheidungen auf Intuition zu setzen - während Verhaltensforscher belegen, dass 70 (!) Prozent der Entscheidungen binnen zwei Sekunden gefällt werden."Rational ist, wer mit dem Irrationalen rechnet", sagt Ernst Fehr, Mitbegründer der "Behavioural Finance".Dies anzuerkennen entscheidet über die Qualität strategischer Entscheidungen:

1. Unberechenbarkeit: Als Anfang der 80er-Jahre der Marktanteil von Coca-Cola - trotz eines um 100 Millionen Dollar höheren Werbebudgets - auf zwölf Prozent zurückging und der von Pepsi auf elf Prozent stieg, wurde durch Blindtests konstatiert, dass Pepsi geschmacklich überlegen ist. "New Coke" wurde mit Multimillionendollar-Aufwand eingeführt. Doch die Kunden liefen Sturm, Coca-Cola musste zur "Classic"-Rezeptur zurückkehren. Marketingexperten wissen, dass Farben mit der Geschmacksempfindung verknüpft sind: Bei Produktinnovationen ist nicht nur die Differenz zwischen Labor und Lebenswelt entscheidend, sondern die Differenz zwischen bewussten und unbewussten Entscheidungselementen.

2. Voreingenommenheit: Ähnlichkeiten als "vertraut" wahrzunehmen - und in der Entscheidung zu bevorzugen, ist ein tief verankertes Verhaltensmuster, welches erklärt, weshalb entgegen dem Bekenntnis zur Vielfalt im Unternehmensalltag oft Gleichheit vorherrscht. Frauen hätten in die klassische Musik nie vordringen können, hätte man bei der Auswahl von Orchestermusikern nicht einen verdeckenden Wandschirm eingesetzt. Die Zahl der Musikerinnen hat sich seitdem verfünffacht.

3. Ahnungslosigkeit: Die Ursprünge der Spieltheorie liegen im Einsatz für Kriegsszenarien, in denen die richtige Einschätzung gegnerischer "Spielzüge" entscheidet. Während mit Satelliten und Supercomputern die Komplexität mathematisch immer besser bewältigt und Entscheidungen optimiert werden, hat sich seit Napoleon nichts an der Grundsituation geändert: "Ein General weiß nichts mit Sicherheit, er sieht seinen Feind nie deutlich vor sich und weiß nie genau, wo er sich befindet." Die Fähigkeit, je nach Situation schnell und überraschend zu handeln, setzt voraus, über verschiedene Entscheidungsverfahren und -stile zu verfügen - und "Unberechenbarkeit" nicht zu beklagen, sondern strategisch zu nutzen.

Wie Physiker nach der "Weltformel", so suchen Ökonomen und Psychologen nach der "Entscheidungsformel". Suche und Richtungsstreit sind produktiv: Dank "Behavioural Finance" und Spieltheorie findet die Ökonomie zu Grundfragen zurück und schafft die Voraussetzung für dringende Antworten auf aktuelle Probleme.