Paris - Der Iran könnte nach Einschätzung Israels in einem halben Jahr das erforderliche Fachwissen für den Bau einer Atombombe besitzen. "Die nächste Sitzung der Internationalen Atomenergiebehörde ist entscheidend, weil die Tage gezählt sind, bis sie über das notwendige Know-how für die Entwicklung der Atombombe verfügen", sagte der israelische Außenminister Silvan Shalom am Donnerstagabend in Paris. "Es geht vielleicht nur noch um sechs Monate." Die gesamte internationale Gemeinschaft müsse zusammenstehen, "um die Iraner zu stoppen", forderte Shalom. Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad hatte am Mittwoch gesagt, Israel müsse "von der Landkarte getilgt werden", und damit heftige internationale Proteste ausgelöst.

Reichweite

"Die Iraner entwickeln jetzt Raketen, die eine deutlich größere Reichweite haben", betonte Israels Außenminister. Die Waffen könnten bis zu 3000 Kilometer weit fliegen. Damit sei nicht nur Israel, das 1500 bis 1800 Kilometer entfernt liege, in Gefahr, sondern auch "alle europäischen Hauptstädte: Paris, Berlin, London, Rom, Madrid und selbst ein Teil Russlands".

Israel soll nach Medienberichten über detaillierte Pläne zur Zerstörung iranischer Atomanlagen verfügen. Mit einem spektakulären Lufteinsatz hatte Israel 1981 den mit französischer Hilfe errichteten irakischen Atomreaktor "Osirak" zerstört. Israel soll den USA Luftaufnahmen von Atomanlagen im Iran vorgelegt haben; die Dokumente sollten belegen, dass das militärische Atomprogramm Teherans "sehr weit fortgeschritten" sei, hieß es in Medienberichten. Israel hatte wiederholt angedeutet, dass es einen Militärschlag führen könnte, um den Iran an der Entwicklung einer Atombombe zu hindern.

"Atomare Zweideutigkeit"

Israel hat selbst den Besitz von Atomwaffen weder bestätigt noch dementiert. Die so genannte Politik der "atomaren Zweideutigkeit" sei für die Verteidigung des Landes "unverzichtbar", hatte Ministerpräsident Ariel Sharon anlässlich eines Besuches von IAEO-Chef Mohamed ElBaradei erklärt. Israel ist als einziges Land der Region nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten.

Der israelische Atomexperte Mordechai Vanunu hatte neun Jahre am Atomreaktor Dimona in der Negev-Wüste gearbeitet und der britischen Zeitung "Sunday Times" im Jahr 1986 Informationen über Nukleargeheimnisse Israels übermittelt. Basierend auf seinen Aufdeckungen und heimlich aufgenommenen Fotos kamen Experten zu dem Schluss, dass Israel über das sechstgrößte Atompotenzial der Welt verfüge. Noch im selben Jahr entführten Agenten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad Vanunu in Rom und verschleppten ihn nach Israel. Dort wurde er in einem nicht öffentlichen Prozess zu 18 Jahren Haft verurteilt, von denen er zwölf in strenger Einzelhaft absitzen musste. (APA/AFP)