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Großbritanniens Premier Tony Blair fordert die Aufhebung der Übergangsfristen am Arbeitsmarkt.

Foto: EPA/Hartmann
Hampton Court - Auf Schloss Hampton Court bei London findet heute, Donnerstag, das informelle Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zur Globalisierung statt. Der britische Premierminister und Gastgeber Tony Blair will mit seinen Kollegen eine Grundsatzdebatte über Europas Antwort auf die Globalisierung führen und dabei insbesondere über das europäische Sozialmodell beraten.

Blair-Sprecher dämpft Erwartungen

Ein Sprecher Blairs hat die Erwartungen an den Gipfel Donnerstag Mittag allerdings gedämpft. So sei eine Einigung in der Frage des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Fonds zur Abfederung von Globalisierungsfolgen (siehe unten) nicht sicher. "Wir haben heute vielleicht nicht die Antworten, aber die richtigen Fragen", sagte der Sprecher.

Zugleich wies der Sprecher Vorwürfe zurück, die britische EU-Ratspräsidentschaft habe bisher nichts weitergebracht zur Lösung anstehender Probleme in der EU. "Die großen Themen kommen in der zweiten (Halbjahres-)Hälfte. Wir sind erst in der Mitte." Zudem seien die Fragen über eine europäische Antwort auf die Globalisierung nunmehr stärker auf der Agenda als noch im Juni. "Ein Konsens über die Fragen bedeutet noch keinen Konsens über die Antworten."

Gegen Übergangsfristen - für Atomkraft

Auch ein "Konsens über die Fragen" könnte jedoch in weiter Ferne liegen - enthält doch Blairs "Fünf-Punkte-Plan" zur Modernisierung Europas etliche Vorschläge, mit denen einzelne Mitgliedstaaten ihre liebe Not haben werden, darunter auch Österreich.

So wird in einer der wissenschaftlichen Arbeiten, die die britische Präsidentschaft als Unterfutter eingeholt hat, die sofortige Aufhebung der Übergangsfristen für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten verlangt. Auch die Forderung in einem anderen Papier, die Atomkraft in der EU wiederzubeleben dürfte in Österreich auf wenig Begeisterung stoßen.

"Koordinierte legale Einwanderungspolitik"

Der französische Wissenschaftler Patrick Weil stellt fest, dass die EU dringend eine koordinierte legale Einwanderungspolitik brauche. Allein um die Bevölkerungszahl aufrecht zu erhalten brauche Deutschland bis 2050 rund 25 Millionen Einwanderer oder rund 500.000 pro Jahr, Italien etwa 20 Millionen, oder knapp 400.000 pro Jahr. In Ländern mit einer stärkeren Einwanderungs-Tradition wie Frankreich oder Großbritannien ist der Bedarf an Zuzug nicht so dramatisch. Wegen dieser Unterschiede schlägt der Experte vor, einen EU-weit einheitlichen Rahmen für die Aufnahme von Ausländern, die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen, die Behandlung ausländischer Studenten und von Langzeit-Illegalen zu erarbeiteten.

Kurzfristig müssten die alten EU-Länder jedenfalls ihre Übergangsfristen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten im Osten aufheben. Die Daten aus den drei Ländern, die keine solchen Beschränkungen beschlossen haben, zeigten, dass die Zahl der neuen Arbeitskräfte "sowohl handhabbar, als auch vorteilhaft" gewesen sei. In den übrigen Ländern finde sich der Arbeitsmarkt in der kontraproduktiven Situation, dass die neuen europäischen Bürger "dennoch einwandern und illegal arbeiten".

"Europäische Basis für Atomkraft"

Unter den von Blair vorangetriebenen Ideen für die EU findet sich auch die stärkere Integration des Energiemarktes. Dieter Helm, ein Experte des New College in Oxford schlägt unter anderem den "physischen" Zusammenschluss der Elektrizitätsnetze der Mitgliedstaaten vor, ebenso wie die Einrichtung eines Europäischen Gasreserven-Plans und die völlige Überarbeitung der bisherigen Spielregeln und Regulierung.

Als Reaktion auf die Klimaänderungen sollten aber auch die Atomkraft auf einer europäischen Basis vorangebracht und der Rechtsrahmen überarbeitet werden, nachdem mehrere Länder planen, neue Atomkraftwerke zu bauen. Die Kooperation könnte Vorteile in Hinblick auf Technologie und Kosten bringen.

Finanz-Streit nur Rand-Thema

Blair will beim heutigen Gipfel keine Vorschläge zur Lösung der EU-Finanzierung für 2007 bis 2013 vorlegen. Der Premier setzt aber darauf, dass eine grundsätzliche Einigung über den Reformkurs der EU eine Einigung über die EU-Finanzplanung auf dem Dezember-Gipfel in London erleichtert. Ein Einigungsversuch im Juni war vor allem an Blairs Widerstand gescheitert.

In Sachen "Briten-Rabatt" will sich Blair vorerst nicht in die Karten blicken lassen. Der Rabatt sei "nicht das Einzige" in der Diskussion um die EU-Finanzvorschau, meinte Blair am Mittwoch in Straßburg. Der noch von der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher ausverhandelte Rabatt für Großbritannien gilt als einer der Knackpunkte beim Streit um das EU-Budget.

Die EU-Finanzvorschau habe sich an "den Prioritäten der Menschen auszurichten", betonte Blair. Zu den Auseinandersetzungen mit Frankreich in der Frage nach den Agrarbeihilfen meinte er: "Es ist wichtig, dass Großbritannien und Frankreich zusammenarbeiten - wenn sie können". Man müsse "Gemeinsamkeiten finden".

Die Ablehnung Großbritanniens gegenüber der hohen Agrarausgaben der EU habe sich jedoch nicht geändert, sagte der britische Premier weiter. Allerdings verlangte auch niemand "eine Änderung der Gemeinsamen Agrarpolitik von einem Tag auf den Anderen".

Kommt es beim Londoner EU-Gipfel im Dezember zu keiner Einigung über die EU-Finanzvorschau 2007-2013, "wird dies schlechte Auswirkungen haben", warnte Blair. Der EU-Ratsvorsitzende wies darauf hin, dass insbesondere die neuen EU-Länder auf die Geldmittel der Union angewiesen seien. "Wir wollen den neu beigetretenen Ländern keine Nachteile verschaffen."

Schüssel: "Kein nennenswerter Einwand" gegen Globalisierungsfonds

Für Österreich nimmt an dem Treffen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), für Deutschland ein letztes Mal der scheidende Kanzler Gerhard Schröder (SPD) teil.

Schüssel meinte zum so genannten "Globalisierungsfonds" für strukturschwache Regionen, dieser sei nur kurz von Kommissionschef Jose Manuel Barroso angesprochen worden. "Ich glaube nicht, dass es da irgendeinen nennenswerten Einwand gibt." Generell rechnet der Bundeskanzler jedoch damit, dass viele in Hampton Court diskutierte Themen an der österreichischen EU-Präsidentschaft im nächsten Halbjahr hängen bleiben.

Schröder schließt zusätzliche deutsche Zahlungen aus

Schröder hat im Streit über die mittelfristigen EU-Finanzen zusätzliches Geld für Brüssel ausgeschlossen. Deutschland sei bei den Verhandlungen bereits "ans Limit und schon etwas darüber hinausgegangen", sagte Schröder am Donnerstag in London.

Zur Debatte über den Globalisierungsfonds zeigte sich Schröder skeptisch, dass dieser finanzierbar sei. Es dürfe keine Nebenhaushalte und keine zusätzlichen Ausgaben geben. Der Fonds soll nach den Vorstellungen der Kommission mit jährlich 500 Millionen Euro ausgestattet werden und zunächst bis 2013 laufen. Ziel ist, dass strukturschwache Regionen und Arbeitslose sich mit dem Geld auf die neuen Herausforderungen der Globalisierung besser einstellen können.

"Britisches Wirtschaftssystem sicher kein Vorbild"

Schröder widersprach zudem Blair, der wiederholt betont hatte, dass Europa zur Bewältigung der Globalisierung sein Wirtschafts- und Sozialmodell reformieren müsse. Ökonomische Effizienz müsse mit einer Politik des sozialen Zusammenhalts verbunden werden. Die Veränderungen benötigten "Augenmaß und soziale Ausgewogenheit". Schröder warnte zudem vor einer "Überdehnung der europäischen Kompetenzen", die die intakte Staatlichkeit der Mitgliedstaaten antaste.

Auf die Frage, ob er das britische Wirtschaftssystem als Vorbild für ganz Europa sehe, sagte Schröder vor Journalisten: "Sicher nicht." Er wolle deutlich machen, dass die soziale Marktwirtschaft "das klassische europäische, jedenfalls das kontinentaleuropäische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell" sei. Auf dem EU-Gipfel gehe es um die Frage, ob Europa lediglich ein Markt sein soll oder ein Gesellschaftssystem, in dem wirtschaftliche Effizienz mit sozialem Zusammenhalt verbunden wird.

Merkel übernimmt Schröders Positionen

Schröders designierte Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) machte im "Handelsblatt" deutlich, dass sie in den Budgetverhandlungen die Position der scheidenden rot-grünen Regierung weiter verfolgen werde. Ausdrücklich stützte sie die französische Forderung, die von Blair kritisierten hohen Agrarsubventionen erst nach 2013 zu ändern. Auch kündigte sie an, für einen EU-Haushalt einzutreten, der möglichst nahe bei einem Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. Dies war auch Schröders Position, der im Juni bereit war, geringfügig über ein Prozent hinauszugehen.

Im "Handelsblatt" (Donnerstag-Ausgabe) forderte Merkel einen Abschluss der EU-Budget-Verhandlungen noch in diesem Jahr. "Europa braucht jetzt dringend einen Erfolg. Die EU muss ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen", so die künftige deutsche Kanzlerin. Deutschland werde sich jedenfalls "kooperativ" zeigen, um einen Finanzkompromiss möglich zu machen.

Bezüglich des Globalisierungs-Fonds zeigte sich auch Merkel skeptisch. "Es ist unklar, wer einen solchen Fonds eigentlich verwaltet und nach welchen Kriterien die Gelder vergeben werden sollen", sagte sie.

Das informelle Treffen auf dem Schloss von König Heinrich VIII. ist der erste Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs seit zweieinhalb Jahren, der nicht in Brüssel stattfindet. Sollte die EU im Dezember keine Einigung im Finanzstreit schaffen, müsste sich Österreich unter seiner EU-Präsidentschaft im nächsten Halbjahr um eine Lösung bemühen. (Reuters/APA/dpa)