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Foto: Archiv
Lüderitz: Ein in Fels und Sand hingestreutes Hafenstädtchen, im Süden der Wüste Namib. Allerorten erinnern Jugendstilbauten und deutsche Schilder - "Kegelbahn", "Tischlerei", "Bahnhof" - an die kolonialistische Vergangenheit. Island kommt einem als Vergleich in den Sinn, oder Dänemark, als wärs aus einem Film von Lars von Trier. Fast ständig kalte wilde Böen vom Atlantik her. Man möge doch bitte das Auto stets gegen den Wind parken, rät der Reiseführer: Sonst halte man irgendwann einmal die ausgehängte Tür in Händen. Wenn der Sturm besonders heftig weht, ist alles wie entvölkert, wie eine Westernkulissenstadt. Will man der Frage beikommen, was hier nicht stimmt, dann erhält man unterschiedlichste Antworten: Man hört von Distanz - allein die Bezinkosten für eine Fahrt in die Hauptstadt Windhoek sind atemberaubend -, Wirtschaftskrise, sozialem Druck. Man hört von Menschen, die es hierher verschlagen hat, Schwarzen wie Weißen, die in der Hoffnung, dass die Hafennähe und der Diamantenabbau im Umfeld Geld bringt, alle Verbindungen hinter sich abbrechen, nicht selten gleich Familie mitbringen oder aufbauen und dann festsitzen. Ein Schuldirektor verdient hier 15000 namibischeDollar im Monat - das sind umgerechnet 2000 Euro. Ein Automechaniker kann etwa 150 Rand pro Stunde verlangen: Das sind etwa 12 Euro. Oberhalb von Lüderitz, in den schwarzen Slums - dem Cent Hotel und einem Lager für Zwangsausgesiedelte, der sogenannten Area 7 - erhalten Leute, die kurzfristig angeheuert werden, 30 Rand pro Tag. Und jetzt wird da oben, in Area 7, Schlingensiefs Animatograph fertiggestellt, am "Hauptplatz", dort, wo Sonntags auch immer die mehrstündigen Messen abgehalten werden. Den Männern aus dem Township, die mitarbeiten, wird etwa das Doppelte der üblichen Löhne gezahlt, vielleicht ein weiterer Grund für den Vorsteher von Area 7, "King" Martin, das Projekt abzusegnen, über das er - wie die anderen unten in der Stadt, auch kaum mehr weiß als: Hier wird am Sonntag ein Stück gespielt, ein Fest gefeiert, und das Stück und das Fest und die Projektionen in und rund um den Animatographen, sie werden wiederum Bestandteil sein des Films "African Twin Towers", der hier in insgesamt 23 Drehtragen fertiggestellt werden soll.

Und: "Wir werden uns bei den Hereros", den Eingeborenen, "für die Verbrechen der Deutschen entschuldigen", hat Christoph Schlingensief verkündet. Bis dato nahm dies auch die "Allgemeine Zeitung Namibias" höflich abwartend zur Kenntnis. Fast zurückhaltend nimmt sich eine Schlagzeile "Ärger rund um Schlingensief" (Schauspieler in Windhoek wurden gecastet, aber nie nach Lüderitz geholt) zwischen Berichten über Agrarreformen Korruption oder mysteriöse Morde (eine enthauptete schwarze Frau, ein ermordeter Wissenschafter) aus.

Der Animatograph ist eine Drehscheibe. Auf der Scheibe steht ein Schiff. Ans Schiff angebaut: Ein Wellblechcontainer, das Dach per Leiter erreichbar und als Auftrittsbühne nutzbar. Er wirkt wie eine Miniausgabe des "Ausländer raus"-Containers, 2000 vor der Wiener Staatsoper, aber hier haben sich die Perspektiven drastisch verschoben. Rund um stehen hunderte Wellblechcontainer, wie mit dem Lineal gezogen in diese Hochebene platziert, dass sie beinahe an Peter Eisenmans Holocaust-Denkmal in Berlin erinnern. Andererseits: Während in Wien Erregtheit und Zorn dominierten, erhebt sich hier rund um das immer weiter wuchernde Animatographen-Gebilde oft Kinderlachen: Die sehen das Schiff wie einen Abenteuer-Spielplatz. Gestern durften Sie Ihre Graffitis drauf malen: HOMEBOY steht da. Oder, von Schlingensief geschrieben: GODS TEARS CENTER.

Unten in der Stadt - was denken die über Film und Animatograph? Es ist mangels ersichtlicher Reaktionen schwer einzuschätzen. Journalisten gegenüber halten sich die meisten Weißen bevorzugt bedeckt. Es ist selten, dass einmal jemand das Gefälle zwischen Weiß und Schwarz offen reflektiert, oder gar historische Altlasten diskutiert.

Abends an der Bar kann es schon vorkommen, dass einer loslallt: "Das wissen wir schon, dass die in Europa immer schreiben, wie schlecht's den Kaffern geht." Oder: "Wenn dir'n Kaffer mit'm Messer kommt, schlag ihm vorher eine mit'm Stock auf's Maul, wie'm Esel." Ist diese Haltung repräsentativ? Ganz sicher ist der Mann betrunken. Tatsächlich häufen sich andererseits die Übergriffe und Überfälle in der Gegend. Jemand sagt, einmal mehr: "Die Armen werden immer ärmer." Gleichzeitig: "Der soziale Neid der Weissen untereinander wird immer größer." Gut möglich, dass man das gegenwärtig in allen Weltgegenden hört... (22.10.2005)