Ägyptens Außenminister Ahmed Abul Gheit: "Wir haben bereits genügend Krisen in der Region."

Foto: Regine Hendrich
Der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit machte am Donnerstag und Freitag dem zukünftigen EU-Präsidenten Österreich die Aufwartung. In einem Interview mit dem STANDARD nahm er zu jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten Stellung.

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Wien – Der ägyptische Außenminister Ahmed Abul Gheit hat für seine Österreich-Visite einen besonders brisanten Moment erwischt: In der Nacht seines Aufenthalts in Wien wurde der UNO-Bericht zum Hariri-Mord veröffentlicht, der Syrien belastet, und US-Präsident George Bush formulierte anlässlich des Besuchs von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Washington in einer ungewöhnlich klaren Weise, was die USA von Israel im Zusammenhang mit dem Friedensprozess erwarten (siehe Artikel rechts).

Was Syrien anbelangt, so betont Abul Gheit im Interview mit dem STANDARD die Notwendigkeit, einerseits der Gerechtigkeit Genüge zu tun – wer für so eine Untat verantwortlich ist, müsse bezahlen –, andererseits den Fall nicht zu politisieren, "eine schwierige Balance". Wie überall in der Region ist in Ägypten die Sorge groß, dass die Hariri- Krise zu einer Destabilisierung Syriens und des Libanon führen könnte, und das müsse verhindert werden, sagt Abul Gheit.

Kairo werde sich mit der Beurteilung des UNO-Berichts Zeit lassen. Dass die USA – "angesichts der Situation, der sie in der Region bereits ausgesetzt sind" – mit dem Gedanken spielen, Syrien wegen seiner Nichtkooperation an der syrisch-irakischen Grenze anzugreifen, schließt der ägyptische Außenminister eher aus.

Standbild Palästina

Die Lage nach dem Abzug der israelischen Truppen aus dem Gaza-Streifen beschreibt er so: Es sei momentan wie ein Standbild auf einem Video – jeder warte darauf, dass und wie es weitergeht. Die internationale Gemeinschaft sei sich darüber einig, dass der Friedensprozess wieder auf die Schiene gebracht werden müsse. Beides, die Roadmap als auch die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser im Gaza-Streifen, sei dafür gleich wichtig.

Die israelische Kooperation sei für die Entwicklung des Gaza-Streifens entscheidend: Die Palästinenser in Gaza brauchen einen Hafen und einen Flughafen und vor allem eine Verbindung ins Westjordanland, um "zu reisen, Waren hin und her zu transportieren und ihre Kinder auf die Universität zu schicken. 38 Jahre lang war der Gaza-Streifen ein Gefängnis", das dürfe nicht so bleiben. Man müsse an beiden Punkten gleichzeitig ansetzen, Gaza und der Westbank, dort müsse sich die "Atmosphäre" ändern – etwa durch die Rückkehr der Israelis an die Linien vom Herbst 2000, vor der Intifada.

Abul Gheit baut darauf, dass die USA diese Notwendigkeiten erkannt hätten und den politischen Prozess wiederbeleben wollen. Dabei gehe es nicht so sehr um Druck auf Israel, sondern darum, dass die USA durch ihr Engagement auch andere an Bord bringen. Bei seinem Besuch in Moskau, der unmittelbar vor der Wien- Visite erfolgte, habe er große Übereinstimmung festgestellt. Man sei sich einig, dass man sich auf einen Mechanismus verständigen müsse, um festzustellen, was an Roadmap- Vorgaben bereits verwirklicht wurde, was noch offen ist, und wie man die Implementierung der offenen Punkte betreiben könnte. Dazu wäre auch ein neuer Zeitplan notwendig.

Der Palästinenserbehörde müsse man alle mögliche Unterstützung angedeihen lassen, sagt Abul Gheit, besonders den Sicherheitskräften, deren Situation er so beschreibt: "Sie haben nicht einmal Betten, keine Uniformen, nichts." Ägypten ist unter anderem bei der Ausbildung des palästinensischen Offizierskorps engagiert. An einer Verbesserung der Situation an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten werde gearbeitet, auch hier gehe es nicht ohne israelisches Entgegenkommen den Bedürfnissen der Palästinenser gegenüber.

Die EU fordert Abul Gheit auf, die den Palästinensern zugesagten 750 Millionen Dollar so schnell wie möglich verfügbar zu machen, die für die Wiederbelebung der palästinensischen Wirtschaft entscheidend seien. Bezüglich der Teilnahme der Hamas an den palästinensischen Parlamentswahlen vertritt Ägypten die Position, dass die Hamas zu den Wahlen antreten dürfen sollte: Sie werde jedoch "die Logik eines politischen Prozesses durch Verhandlungen mit Israel akzeptieren müssen". (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.10.2005)