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Sölden hat immer Saison. Vor fünf Jahren war Hermann Maier (links) im Oktober erfolgreich, 2003 und 2004 trug jeweils Bode Miller (rechts) den Sieg davon.

Foto: APA/Schneider
Sölden - Wenn schon die Wirklichkeit auf höchst unterschiedliche Weise interpretiert zu werden pflegt, dann ist die Wichtigkeit erst recht relativer Natur. In einer Wirklichkeit beginnt der Winter am 21. Dezember. Ihr liegen die variierende Umlaufbahn der Erde um die Sonne zugrunde und die diesbezügliche menschliche Interpretation. In einer anderen Wirklichkeit beginnt der Winter am kommenden Wochenende. Ihr liegen wirtschaftliche Interessen zugrunde, die wiederum auf der Lust am Sport aufbauen.

Auf dem Gletscher ob Sölden im Ötztal steigt am Samstag und am Sonntag das Weltcup Opening der alpinen Skirennläufer. Es handelt sich um ein traditionell gut besuchtes Skirennen. Im Vorjahr kamen insgesamt 26.000 Zuschauer auf den Rettenbachferner, sahen die Schwedin Anja Pärson und den US-Amerikaner Bode Miller die Riesenslaloms gewinnen.

Ist das wichtig? Ernst Lorenzi, der die PR für Sölden macht: "Das Wochenende selbst ist für uns gar nicht so gut. Wir sind zwar fast ausgebucht, aber viele Zimmer müssen wir gratis hergeben, für die Sportler, Trainer, Funktionäre." Aber der Wintersporttourismus insgesamt profitiere von dieser Veranstaltung. Und gerade am Wochenende des Openings fahren viele auf die Gletscher, wenn das Wetter mitspielt, aber nicht ins volle Sölden, sondern in die konkurrierenden Gebiete in Tirol.

Wo der Bär los war

In Sölden wurde ja auch schon am vergangenen Wochenende gesportelt. Die Snowboarder eröffneten den Weltcup, aber das hat kaum jemanden interessiert. Parallel dazu führte die Industrie, die rund um die Boarder entstanden ist, ihre Neuheiten auf dem Kaunertaler Gletscher vor, dort war der Bär los, dort stiegen die Feten. Im alpinen Skisport konzentrieren sich die Feten rund um den Weltcup. Es wird viel los sein in Sölden, beispielsweise tanzt die Rekordzahl von 29 Fanklubs an.

Die sportliche Wichtigkeit der Gletscherrennen wird von den aktiv Beteiligten, den Skifahrern, den Trainern, relativiert. Schließlich gilt es, sich beginnend im April unmittelbar nach der vergangenen Saison, auf den Winter vorzubereiten, und der wird erst Ende November bei den Amerika-Rennen so richtig dicht und gipfelt im Februar bei den Olympischen Spielen in Turin. Wer am Gletscher vorn ist, muss nicht zwangsläufig die Saison dominieren, das liegt daran, dass es das einzige Rennen auf Naturschnee ist, und daran, dass es mitten in der Vorbereitung passiert. Nicht nur im Vorjahr freilich siegten die späteren Weltcupsieger.

Bei den Ausrüstern ist die Veranstaltung sehr beliebt. Aufs Weihnachtsgeschäft kann nicht früh genug hingewiesen werden. Wer auch immer mit welchen Brettern auf dem Gletscher die Weltcupführung übernimmt, er oder sie werden sie rund einen Monat behalten. Die Marke Sölden wird gestärkt. 12.000 Betten gibt es im Ort. Puncto Nächtigungszahlen sind die Ötztaler bundesweit die Nummer zwei hinter Wien. Und in der Zeit nach dem Opening steigen die Zugriffe auf die Homepage um das Dreifache.

Lorenzi, der seit Jahren den Ötztaler Radmarathon veranstaltet: "Aber der Weltcup ist nichts im Vergleich zur Deutschland-Rundfahrt." Die wurde von der Tirol-Werbung ins Boot geholt, besuchte Sölden im August, die Straße auf den Rettenbachferner gibt Zeugnis davon. Fans malten die Namen ihrer Lieblinge darauf, Jan Ullrich ist gut vertreten, doch der wurde auf der vor dem 2670 m hohen Ziel von Levi Leipheimer und Georg Totschnig stehen gelassen. Dann ließ Leipheimer Totschnig stehen. Lorenzi: "Es wimmelte hier vor Radlern. Muss ein komisches Gefühl für die Skifahrer sein, wenn sie hinauffahren, und auf der Straße Ullrich, Totschnig oder Leipheimer lesen."

Die Katastrophe Mit der Marke Sölden untrennbar verbunden ist aber auch das furchtbare Unglück vom 5. September, als ein Hubschrauber eine Betonfracht verlor, die auf ein Gondelseil auf dem Rettenbachferner fiel. Neun deutsche Jugendliche starben, sie gehörten zum Nachwuchskader des Skiklub Schwarzwald. Dessen Chef ist Günther Hujara, der Renndirektor des Internationalen Skiverbandes (FIS), der am Wochenende die Verantwortung fürs Rennen trägt. Die Söldener hatten nach der Katastrophe eine Absage der Veranstaltung erwogen. (Benno Zelsacher - DER STANDARD PRINTAUSGABE 21.10. 2005)