Foto: Viennale
Eine mächtige Welle rollt auf das Land zu. Zwei Männer mit Gasmasken suchen den Strand ab. Sie finden nichts. Japan im Jahr 2015 ist leer. Ein Virus treibt die Menschen in Scharen in den Selbstmord. Acht Millionen Bewohner von Nagoya haben sich in kurzer Zeit das Leben genommen. "Wie die Lemminge", sinniert ein Wissenschaftler, aber er weiß, dass das keine Diagnose ist, sondern eine Metapher.

Das leere Land nützt der japanische Filmemacher Shinji Aoyama in "Eli, Eli, Lema Sabachthani?" für eigenwillige Experimente. Das einzige Heilmittel gegen die Selbstzerstörung der Menschheit liegt im Lärm, in einer Form der elektrisch verstärkten Musik, die so gar nicht in die japanische Kultur zu passen scheint. Man muss aber nur an Gruppen wie Merzbow denken, um einen popkulturellen Kontext für diesen Film zu bekommen.

Shinji Aoyama wurde im Jahr 2000 mit seinem epischen "Eureka" international bekannt. Den Titel für diese posttraumatische Genesungsfahrt (drei Überlebende einer Geiselnahme tun sich dafür schweigend zusammen) entnahm Shinji Aoyama einem Musikstück von Jim O'Rourke, das dann auch im Film an entscheidender Stelle zu hören war. In "Eli, Eli, Lema Sabachthani?" ("Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?") haben sich die Musiker Mizui und Asuhara auf das Land zurückgezogen, um der Seuche zu entgehen und in Ruhe ihren Klangforschungen nachgehen zu können. Sie kommen dabei in Kontakt mit einem reichen alten Mann, dessen Enkeltochter bereits schwer krank ist. Diese versprengten Menschen setzen allesamt ihre Hoffnung auf die Gitarre von Mizui, und auf die Instrumente, die er aus den Resten einer technischen Zivilisation baut.

In einer typischen Szene weitet sich diese Versuchsanordnung beinahe zu Land Art. Gitarre und Lautsprecher, Verstärker und Musiker sind so in die Landschaft gestellt, dass niemand mehr spielen muss – der Wind und das Wetter bespielen das Einmann- Ensemble, und Mizui, die Schnittstelle zwischen der Technik und den Elementen, legt sich einfach ins Gras.

Die Science-Fiction-Geschichte ist für Shinji Aoyama ganz offensichtlich nur ein Vorwand. Er setzt nur ein paar wenige, notwendige Zeichen, um die Situation halbwegs glaubwürdig zu machen, ist danach aber kaum an Plot oder auch Charakterzeichnung interessiert (dass er das kann, hat er in Eureka bewiesen). "Eli, Eli, Lema Sabachthani?" zielt auf eine Form des absoluten Films, die sich über die Musik, die unanschaulichste Kunst vermittelt. Indem er Improvisation und aleatorische Strukturen zulässt, setzt er das Erzählkino unter Spannung. Bei Kiyoshi Kurosawa, für den Shinji Aoyama als Regie-Assistent gearbeitet hat, gibt es ähnliche Stimmungen einer vagen Bedrohung. Nicht selten erweisen sich deren narrative Auflösungen als unbefriedigend. Die Strategie von Shinji Aoyama erscheint in diesem Zusammenhang ebenso radikal wie plausibel: Die Genrehülle des Science-Fiction-Films füllt er mit der reinen Materie eines Klangs, dem sich sonst wohl nur ein spezialisiertes Publikum aussetzen würde. Aoyama findet das Transzendente im Noise. (reb/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.10.2005)