Warum man über eine Stadt eine Reisegeschichte schreibt, in der vor einem guten Vierteljahr mehrere Terroranschläge verübt wurden, ergibt sich im Fall von London ganz klar - und man muss und darf dem werten Leser, der werten Leserin auch gar nicht mit den geringen Wahrscheinlichkeiten, dass einen so etwas trifft, kommen (das soll man sowieso nicht bei Katastrophen dieser Art). Nach London müsste man auch fahren, wenn es noch viel gefährlicher wäre. Nach London kann man nicht nicht fahren. Ohne London geht es nicht.

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Vielleicht spielt bei österreichischen Menschen meiner Generation und meines provinziellen Hintergrunds ja auch das Faktum ein Rolle, dass London die erste richtige Stadt war - Wien war damals ja noch keine -, in die man geschickt wurde. Zum Zwecke, dass man das Englische erlerne. Man erlernte aber auch noch einiges andere, man war gerade im richtigen Alter. Dafür sind wir London ewig dankbar, und ab und zu schauen wir vorbei, um diesen Dank abzustatten.

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Und um zu prüfen, ob noch alles beim Alten ist. Ist es natürlich nicht, Gott sei Dank. Aber doch auch wieder. Die Tate Gallery gab es schon Mitte der 70er-Jahre, aber nicht diese. Nein, jetzt zähle ich nicht auf, was in den vergangenen 30 Jahren alles gebaut wurde in London. Zuerst ging es ja gar nicht so rasant - die Engländer sind ja bedächtige, konservative Leute -, aber der Bürgermeister Ken Livingstone, der auch sonst manchmal zu Extremen neigt, hat es gerne groß und hoch.

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Nicht alle seine Untertanen wissen das zu schätzen, wie dem "Mayor of London Blog" zu entnehmen ist, wo Anfang Oktober der Daily Telegraph-Artikel "Can London afford Mayor Livingstone's lavish empire" geposted wurde. Liebe Londoner und Londonerinnen, tut uns Leid, aber das müsst ihr euch schon selbst mit ihm ausmachen. Uns gefällt's oder zumindest das meiste.

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Weil ja alles andere auch noch da ist. Wobei man nicht alles braucht aus der Vergangenheit. Was mir nicht wirklich abgeht: Das leicht muffelnde einstöckige Reihenhaus, in dem mich eine ältliche Lady, die ganz grauenvoll Klavier spielte, damals mit noch grauenvolleren Gerichten bekochte. Eben deshalb habe ich es mir zum Ehrgeiz gesetzt, jedes Mal in London ganz besonders gut zu speisen - was sehr einfach ist, vorausgesetzt, man hat genug Geld.

EPA/Lindsey Parnaby

Weil ja alles andere auch noch da ist. Wobei man nicht alles braucht aus der Vergangenheit. Was mir nicht wirklich abgeht: Das leicht muffelnde einstöckige Reihenhaus, in dem mich eine ältliche Lady, die ganz grauenvoll Klavier spielte, damals mit noch grauenvolleren Gerichten bekochte. Eben deshalb habe ich es mir zum Ehrgeiz gesetzt, jedes Mal in London ganz besonders gut zu speisen - was sehr einfach ist, vorausgesetzt, man hat genug Geld.

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Die Topchefs steigen sich dort auf die Zehen - und nicht alle schauen aus wie spätpubertierende Knaben und haben ein -ie am Vornamen -, und die Restaurant-Designer auch. Aber den Unterschied macht vor allem die hohe Qualität des Ethno-Food, viel weniger dem lokalen Gaumen angepasst als hier zu Lande. Indisch können sie ganz besonders gut, Kunststück, wir haben ja das Böhmische auch noch immer drauf.

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Im Bezug aufs Wohnen habe ich das letzte Mal das ultimative Antimuffelprogramm entdeckt. Das Etablissement heißt One Aldwych und wurde einmal von der Financial Times zum "best hotel in London" ausgerufen. Und in London gibt es in der Tat ein paar gute Hotels. Nun muss ich ja gestehen, dass ich nicht allein zum Essen und Schlafen auf die Insel gefahren war, was ich mir durchaus vorstellen könnte, sondern zum Arbeiten - ich besuchte dort den ehemaligen Irak-Atomwaffenchefinspektor der IAEO, wen denn auch sonst -,

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und als ich nach einem zweitägigen Interview ins Foyer des One Aldwych trat, war mir, als wachele mir der dort befindliche "Boatman with Oars" von Andre Wallace Kühlung und Trost an meine plutoniumwunden Schläfen. Ich wollte nicht mehr weg, nie, nie mehr. Sie haben, was mich nicht wundert, einen großen Prozentsatz an Stammkunden, erzählte mir der PR-Direktor Howard Rombough, wie viel Prozent habe ich vergessen, dafür glaube ich mich zu erinnern, dass Mr. Rombough ein Freund des Grünen Veltliners war, wie rührt einen so etwas in der Fremde!

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Mindestens ebenso rührte mich aber ein Rundgang durch das Hotel, das einen eigenen, mitternachtsblauen Kinosaal hat - den kann man, wenn man kann, ganz mieten, oder sich aber etwa für ein "Give me Dinner and Movies"-Arrangement einkaufen - und ein Schwimmbad im Keller, in dem man die alten Eisenträger sieht, die zum Haus der Morning Post gehörten. Anstatt Druckmaschinen nun Unterwassermusik. Das One Aldwych gibt es erst seit 1998, das Prinzip ist Understatement, very british. Kein Plüsch, kein Chichi. Alles modern und ruhig und logisch.

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"Ultimately It's All About Service", heißt es dort. Wie Recht die haben, wenn einem alles zum Allerwertesten hingetragen wird, dann braucht man wirklich fast nichts anderes im Leben.

Gordon Campbell Gray, dem der Laden gehört und der auch gleichzeitig dort als Managing Director werkt (wenn das mir gehören würde, ich würde dort einfach nur wohnen, Tag und Nacht), muss eine besonders interessante Unternehmer­persönlichkeit sein. Liebt nicht nur seine Kunden - und angeblich sogar seinen Staff -, sondern quasi die ganze Welt, ist philanthropisch unterwegs und für "Save the children" engagiert.

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Auch umweltschützerisch, so sei hier das intime Detail erwähnt, dass die Klospülungen im One Aldwych auf einem innovativen Prinzip basieren, das mit ganz wenig Wasser auskommt, dessen Akustik aber gewöhnungsbedürftig ist, wie am stillen Örtchen im Flugzeug eben. Aber wir sind natürlich dafür, Ehrensache. Mein Grundvertrauen zu diesem Hause war jedenfalls so groß, dass ich mir mutig ein English Breakfast bestellte - aber um so etwas zu vertragen, muss man genetisch anders ausgestattet sein. Ich dachte, vielleicht geht auch Blunzen und Würschtel auf modern, tut es aber nicht. Aber das Frühstück warf wieder einmal auch die Frage auf, warum es eigentlich auf dem Kontinent keinen gescheiten Toast gibt?

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Aber ich schweife ab. Das One Aldwych liegt am Strand, und dort kann man ebenfalls gut schweifen. Rechts ums Eck ist Covent Garden und weitere siebzehn Theater. Geh aus dem Haus und geradeaus und du kommst an die schöne Themse. Links herum ist das Somerset House, und da dauert es länger, bis man wieder herauskommt.

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In walking distance ist auch: St. Paul's Cathedral, Houses of Parliament, Buckingham Palace, Trafalgar Square, und weiß der Tower-Rabe, was noch alles. Das Angebot ist so groß, dass man genauso gut auch gleich mit einem Freund in ein Pub einkehren und dort bei einem Stout über einem Bitter zu einem Lager - immer zu warm, never mind - überlegen kann, was man alles nicht machen wird. Genau das tat ich mit unserem Londoner Korrespondenten. Er erzählte was über die Wohnungspreise in London. Was eine, die im One Aldwych absteigt, nur milde lächeln lässt. (Gudrun Harrer/Der Standard/rondo/21/10/2005)

epa/Gerry Penny