John und Alice Coltrane

Bild: EMI
Aufnahmen im Jazz - es sind Schnappschüsse, Momentaufnahmen eines Zustands, der nicht immer der beste sein muss. Mitunter sind die Mikros leider dabei, sehr oft aber leider nicht. Unendlich muss also auch die Zahl jener großer Musikmomente im Jazz sein, die niemals festgehalten wurden. Denn agieren Jazzer auf hohem Niveau, können Aufnahmen durchaus auch in den Rang einer Partitur erhoben werden, weil sie gleichsam Vollendetes und kaum zu Verbesserndes einfangen.

Was Vollendung ist, darüber lässt sich wunderbar streiten. Aber dass es sich bei Pianist Thelonious Monk und Tenorsaxofonist John Coltrane um zwei der markantesten Musiker des 20. Jahrhunderts gehandelt hat, darüber herrscht Einigkeit, und deshalb erlangt die Aufnahme einer Begegnung der beiden schon einen besonderen Reiz. Sie fand im November 1957 in der Carnegie Hall statt, wurde von Voice of America aufgenommen, aber nie gesendet und schlummerte seit damals in einem Archiv, bis sie nun beim Durchstöbern wiederentdeckt (EMI) wurde.

Man hört einen munteren Monk, der sich agiler gibt, als man ihn mitunter kennt. Da purzeln auch lange Klavierlinien durch die Gegend und heben sich ab von jenem typischen abgehackten Spiel mit der Zeit und jenem kecken Insistieren auf schrägen Intervallen, das Monks Welt eine skurril-geniale Note verlieh. Monk auf der Höhe seiner Kunst. Coltrane besticht hier durch einen langen Hardbop-Atem, der spätere Entwicklungen schon erahnen lässt. Da ist die ungeheuer kraftvolle Kunst der Phrasenproduktion zu erleben, die Kreativitätsmaschine läuft auf Hochtouren und lebt auch von der guten Arbeit der Begleiter, Bassist Ahmed Abdul-Malik und Schlagzeuger Roy Haynes. Natürlich wird man auch an die singuläre kompositorische Kraft von Monk erinnert - durch Titel wie "Evidence", "Monk's Mood" und "Epistrophy".

Ein paar Jährchen später hatte sich das Konzept von John Coltrane in Richtung Freiheit, modale Fundierung der Musik und Verzückung im Solo weiterentwickelt. Unendlich lange Improvisationen sprengten alle Songformen. Der großzügige Umgang mit der Zeit hatte auch den Grund, die Spieler in einen ekstatischen Zusand zu versetzen, der womöglich kreative Reserven mobilisieren würde. Der Glaube an den Augenblick des Musikmachens war selten stärker. 1965 sprengte dieser Zugang wohl auch die Hörgewohnheiten der Jazzclub-Besucher, aber im New Yorker Half Note hatte sie in Mike Canterino einen Fan: "Ich wollte die Musik, ich wollte die Jungs das tun lassen, was sie wollten." Das Ergebnis ist nun unter "One Down, One Up: Live At The Half Note" (Universal) herausgekommen, es existierte bisher nur auf schlechten Raubpressungen. Hier wurde es in toller Qualität wieder zugänglich gemacht. Eine Musik, die brennt. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, rondo, Printausgabe vom 21.10.2005)