Wie viele Vordächer braucht der Mensch? Der Haupteingang ins neue Flaggschiff der GPA.

Foto: AnnA BlaU

Wien – Für einen großen Coup eignen sie sich immer: Coop Himmelb(l)au, jenes Architekturbüro mit dem eingeklammerten L. Irgendwie muss man ja darauf aufmerksam machen, dass nun nicht mehr einzig und allein ins Himmelblaue hinein geträumt, sondern tatsächlich auch gebaut wird. Gestern, Donnerstag, fand die feierliche Eröffnung des aktuellsten Wiener Projekts von Coop Himmelb(l)au statt. Unter Beisein von Bürgermeister Michael Häupl und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch wurde der neue Hauptsitz der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) in Wien Landstraße eingeweiht. Dass die GPA den Entfants Terribles des Dekonstruktivismus gegenüber große Sympathie hegt, hatten sie schon vor einigen Jahren bewiesen. Damals ließ sie Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky einen Gasometer umbauen.

Kinderspital abgerissen

Das ehemalige Mautner-Markhofsche Kinderspital wurde abgerissen. Dort am Alfred-Dallinger-Platz 1 – benannt nach dem ehemaligen Vorsitzenden der GPA – entstand nun das neue Flaggschiff der Gewerkschaft. Die Baukosten des Komplexes (Wohn- und Bürohaus) betragen cirka 24 Millionen Euro. In die unteren fünf Bürogeschosse ist die GPA eingezogen, die Stockwerke 5 bis 7 werden ans Berufsförderungsinstitut Österreich vermietet.

"Für die Menschen, die in diesem Haus arbeiten, ist die interne Kommunikation ein Quantensprung", so GPA-Vorsitzender Wolfgang Katzian,

Und die Architektur? Grau, metallisch, silbrig, und nach langer Zeit erstmals ein derart gewagter Griff in den Farbbottich, anstandsgemäß im corporatewürdigen GPA-Rot. Zur Schlachthausgasse hin ziert eine Symphonie an Vordächern den unüberschaubaren Portikus. Einmal hier rechts, dann wieder dort oben mittig, nebenan eine große schlanke Stele ganz aus Licht.

Die rote Tröte

An der Rückseite zeigt sich das – dereinst so hoch beworbene – dekonstruktive Element von Coop Himmelb(l)au. Dynamisch zwar, aber wohl designed und penibel gestaltet, schiebt sich der Veranstaltungssaal über die Gasse hinaus. Im Jargon der GPA-Mitarbeiter schlichtweg "Tröte" genannt, ist diese architektonische Geste der unmissverständliche Beweis, dass – zumindest in Wien – die Ära des wilden Dekonstruktivismus endgültig vorbei ist.

Die internationalen Glas-Stahl-Projekte in Lyon, Frankfurt, München oder etwa Guadalajara – allesamt noch im Planungsstadium befindlich – glauben nach wie vor an ihre ureigentliche Aura des dynamischen Chaos. Doch das massiv geziegelte und betonierte Wien will sich auf diesen quirligen Kraftakt irgendwie nicht einlassen. (woj, DER STANDARD – Printausgabe, 14. Oktober 2005)