Ian Cuthbertson: "Wenn man vom Irak absieht, hat die internationale Kooperation gegen den Terror hervorragend funktioniert"

Foto: Hendrich
Wien – "Historisch gesehen waren Religionskriege immer blutiger als Bürgerkriege. Wir könnten heute am Beginn eines neuen dreißigjährigen Krieges stehen", meint der Terrorexperte Ian Cuthbertson zum STANDARD. Die harte Kern islamistischer Extremisten sei keiner politischen Gegenstrategie des Westens zugänglich; und durch seinen Terror werde er dafür sorgen, dass auch der christliche Fundamentalismus in den USA konstant neue Nahrung erhält. Als Schotte sei er zwar vom Wesen her Pessimist, "aber das, was ich seit dem Jahr 2000 hier in der US-Politik gesehen habe, gibt mir auch wenig Anlass zum Optimismus".

Damals wechselte Cuthbertson von einem Job im britischen Außenministerium ans renommierte "World Policy Institute" in Manhattan. Der inzwischen naturalisierte Amerikaner Cuthbertson hat sich auf eine Terrorbedrohung durch Massenvernichtungswaffen spezialisiert und ist als Berater vieler Regierungen aktiv. Derzeit arbeitet er mit dem Politologen Heinz Gärtner in Wien an einer Studie über die Antiterrorgesetzgebung in der EU.

"Wenn man vom Irak absieht, hat die internationale Kooperation gegen den Terror hervorragend funktioniert", spielt Cuthbertson die Differenzen nach 9/11 herunter. Gerade der US-Angriff auf den Irak erweise sich aber immer mehr als Fehler, weil das Land zu einer Brutstätte für professionell agierende Terroristen geworden sei: "Die U.S. Army ist unglaublich gut bei der Bekämpfung von Aufständischen. Wenn es ein Terrorist schafft, in einem Umfeld wie im Irak zu überleben, dann ist er ein echter Profi. Ein derart gutes ,Training on the Job‘ kann er sonst nirgendwo bekommen." Und in Cuthbertson kommt wieder der Pessimist durch: "Ich halte einen blutigen Bürgerkrieg für die wahrscheinlichste Entwicklung im Irak. Das würde das Ziel einer Demokratisierung in weite Ferne rücken lassen."

Was den Terror mit Massenvernichtungswaffen betrifft, so meint Cuthbertson, dass ein verheerender Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen sehr unwahrscheinlich sei, weil das Know-how zur Ausbringung solcher Stoffe selbst die Ressourcen professioneller Armeen aufs Äußerste strapaziere. "Die Aum-Sekte hat sich jahrelang damit beschäftigt und es gerade einmal geschafft, 28 Leute umzubringen." Und gegen die seien die Al- Kaida-Leute wie Buben, "die im Hinterhof mit einer Petrischale und ein paar Chemikalien herumexperimentieren".

Wahrscheinlicher sei da schon eine "schmutzige Bombe", also ein mit radioaktiven Abfällen versehener Sprengstoff, aber auch da sei die psychologische Wirkung der Waffe viel dramatischer als die unmittelbare Schadwirkung selbst. "Wenn ein solches Ding in der Wall Street detoniert, dann kann man das Zeug binnen kürzester Zeit herunterwaschen. Aber die ganze Wall Street wäre dann lange lahm gelegt."

Hoher Aufwand

Die Terrorabwehr in den USA, meint Cuthbertson, sei inzwischen exzellent. "Was immer man bereitstellen kann, haben die Amerikaner organisiert." Das verheerende Handling der New-Orleans-Katastrophe lasse nicht den Schluss zu, dass die US-Regierung bei einem Terroranschlag ähnlich kopflos reagieren wurde.

"Ich sage ungern etwas Freundliches über die Bush-Regierung, aber den Hurrikan haben sie nicht verursacht, und die Amerikaner erwarten einfach nicht, dass die Regierung solche Probleme für sie löst. Die Leute kamen um, weil sie kein Geld für Benzin zum Wegfahren hatten oder keine Kreditkarte, um 200 Meilen entfernt in einem Hotel einchecken zu können."

Für Terroristen sei es enorm schwierig geworden, einen Anschlag wie 9/11 zustande zu bringen – obwohl Cuthbertson überzeugt ist, dass es langfristig wieder zu einem solchen kommen wird. Für Europa sei das nicht unbedingt eine gute Nachricht. Wenn der Aufwand zur Durchführung von Anschlägen in den USA selbst unüberwindbar hoch erscheint, könnten Terroristen auf die Idee kommen, stattdessen symbolische US-Ziele wie McDonald's-Filialen oder Citybank-Niederlassungen in Europa aufs Korn zu nehmen. (Christoph Winder/DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2005)