Peter Opsvik war auf Urlaub. In Mexiko. Siesta machte er dort, und zugleich auch nicht. Überall Hängematten, bemerkt der Designer. Überall die hohe Kunst der Schwebe. Elegant abgesetzt von der Plumpheit des Bungeejumpens, fällt Mexikos seichtes Siesta-Luftschwimmen aus - das waren typische Mittagspausenblitze, die Opsviks Skizzenbuch füllten. Nach dem Urlaub kam die restliche Arbeit und mit ihr zuletzt ein Ding namens HÅG Swing, eines jener Möbel, mit denen das norwegische Design-Urgestein bekanntlich seit den Siebzigern zu überraschen weiß.

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Im Prinzip geht es dabei immer um das Gleiche: um die Überwindung der Schwerkraft. Und um ausgeklügelte Technik, alles erdacht, um mit möglichst minimaler Kraftanstrengung die Tortilla-Wampe von einer Entspannungslage in die nächste zu wälzen. Klar, dass die als Urlaub getarnte Recherchereise ins Mekka der Hängematten-Aficionados nur Praktikables mit sich bringen konnte. Auch ohne Tequila-Unterfutter lässt der auf Seilen an die Decke oder in ein Gestell gehängte Stuhl HÅG Swing Höhenflüge zu.

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"Sich selbst reiten", könnte man sagen, erlaubt Opsviks ultimativer Freischwinger. Der sanfte Fluss der eigenen Bewegungen, der körpereigene Rhythmus, wird über komplizierte Verbindungen in Seit- und Vorwärtsbewegungen umgesetzt, so fein, als könne die Konstruktion die "Gedanken" des Sitzfleisches lesen. Dass sich angesichts groß angekündigter Skandinavien-Design-Feierlichkeiten auch der exotische Opsvik zurückmeldet, und zwar als erratischer Block des norwegischen Designs, passt da durchaus ins Bild.

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Unübersehbar waren seine Innovationen schließlich stets. Der mitwachsende Kinderstuhlklassiker "Trip Trap Chair" lässt weiterhin Mütterherzen schmelzen. Ähnlich Furore machte die hohe Kunst des Kniens, die uns Balans-Stuhl-Erfinder Opsvik gleichfalls näher brachte. Mit den Händen rudern wie ein Wikinger und dabei die eigene Schwere ausbalancieren - mit diesen Worten ließe sich freilich auch die traditionelle Randständigkeit norwegischer Designgefilde beschreiben. Peter Opsvik - und dann im Prinzip lange nichts, so lautete das Motto: Galt doch das im Schatten der großen nordischen Design-Nationen Dänemark, Schweden und Finnland praktisch nicht existente, vielmehr im ethnografischen Trolle-Milieu verharrende Norwegen als Designwüste pur.

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Entsprechend auffällig waren denn auch die überraschenden Lebenszeichen, mit der die Gruppe "norway says" erstmals vor drei Jahren auf der internationalen Szene auftauchte, um zunächst einmal rotzig zu vermerken, was ohnehin jeder wusste: Norwegen hat keine Designszene, zumindest keine interessierten Produzenten im Einrichtungsbereich. Interessiert war hingegen der Rest der Designwelt an den fünf Kreativen, die nach einem furiosen Blitzstart auf der Mailänder Talente-Schau "Salone Satellite" schnell mit dem deutschen Feine-Leute-Label ClassiCon, aber auch mit innovativen schwedischen Herstellern in Kontakt kamen. Von den Londoner Lorbeeren der Lifestylemagazine "Wallpaper" und "Blueprint" gar nicht erst zu reden.

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Das im trendigen Osloer "Eastend" untergebrachte Büro hat heute in der Tat etwas zu zeigen: z. B. das soeben vom norwegischen Design Council ausgezeichnete Sofa UGO, das mit L. K. Hjelle noch dazu einen norwegischen Hersteller fand - und im Rahmen des ersten "Wallpaper Design Award" sogar den strengen Augen der hochkarätigen Juroren Richard Meier oder der Gebrüder Campana entsprach. Individuell geratene Möbelentwürfe mit geometrischer Grundcharakteristik, aufbauend auf solidem skandinavischem Umgang mit Materialien, aber gerade dank Norwegens jahrzehntelanger Designabstinenz unbeschwert ausgeführt - so sehen die "norway says"-Ansagen aus.

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Der Mangel an Tradition ist dabei auch die Chance der Jungen. Kein strenges Alvar-Aalto-Auge schwebt, gestern und heute wachend, aber eben auch hemmend, über dem kreativen Potenzial des Königreichs. Dafür klinken sich Norwegens junge Designer anderswo ein. "Oslo ist Transitzone", sagt "norway says". Spricht man ausführlicher mit Kennern der Szene, etwa mit Espen Johnsen, dem Chefkurator des Osloer Folkemuseums, so treten die wesentlichen Fluchtwege Richtung Designwelt offen zutage: London taucht da als Gateway auf, ein vielfältig mit benachbarten Bereichen aus Kunst, Grafikdesign oder Mode vernetzter Megaspot, dem der Schweiß der Avantgarde aus allen Poren trieft.

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Und Stockholm taugt allemal als hochkarätiger Hinterausgang - nicht zuletzt pendelt auch Tyler Brulé, der Wallpaper-Macher und Lifestyle-Tapezierer, zwischen diesen beiden Städten. In Oslo macht er dabei allerdings nicht Station, und so suchen auch norwegische Designer die Nähe zu den lebhaften Nachbarstädten. Nicht von ungefähr wurde "100% Norway", die erste nennenswerte Leistungsschau des norwegischen Designs, in London gegeben, eröffnet von Sir Terence Conran, der dem skandinavischen Nachbarland denn auch die übliche Offenheit und ebenfalls Dynamik bestätigte.

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Mehr verrät trotzdem der Blick auf die Biografien der heute erfolgreich Tätigen, die - den in der Premier League tätigen norwegischen Kickern nicht unähnlich - häufig Londoner Ausbildungsstätten gewählt haben. Prompt stellten sich denn auch bei den Design-Legionären Erfolge ein: Torbjørn Anderssens Zeitschriftenständer "Papermaster" wurde unter anderem vom Victoria Albert Museum erworben, und die besten Arbeiten von "norway says", Liminal, Putti Factory, UpNorth und Torh Møbler, werden von Firmen wie Iform, David Design und Swedese (alle Schweden) oder Magis und Saporiti (Italien) realisiert.

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Räumten norwegische Möbeldesigner wie die Gruppe "norway says" den bislang grünsten Lorbeer ab, so lässt sich die erfolgreiche Aufholjagd durchaus auch auf andere Bereiche ausdehnen: Weiche, sensitive Formen charakterisieren die Keramikentwürfe von Johan Verde und Jens Olav Hetland, Textildesignerin Sari Syväluoma beeindruckt mit fast skulpturalen Textilien, während Leute wie Eirik Lund Nielsen als Abteilungsleiter für Design bei Adidas mit Dingen wie dem in Zusammenarbeit mit Audi entwickelten Basketballschuh "Kobe Two" ohnehin in der Produktdesign-Oberliga spielen.

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Anteil an der heutigen Aufholjagd hat übrigens auch das Land Norwegen selbst, und also die Erkenntnis, dass Öl allein auch nicht glücklich macht. Im Stile einer Mini-Dubaiisierung des Landes, die auf die rechtzeitige Animation der künftigen Post-Öl-Ära-Wirtschaft abzielt, flossen staatliche Mittel zuletzt verstärkt dem norwegischen Design-Rat, dem Forum für Design, Architektur, und der Einrichtung "Norsk Form" zu. Absehbare Resultate sind laut Hängesessel-Mann Opsvik & Co noch in Schwebe. Doch das Drehmoment passt.
(Robert Haidinger/Der Standard/rondo/14/10/2005)

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