Grafik: DER STANDARD
Ich will ja nicht jammern. Ich könnte zwar mit Fug und Recht Tag und Nacht an der Klagemauer sitzen und mein Los beklagen, dass H. jetzt lieber zum Yoga geht als mit mir auf ein Achterl, aber Jammern nützt ja nichts. Es stimmt ja: Leute, die sich ausjammern, sind selten eine Bereicherung. Meist ist die Darbietung nur peinlich. Zum Beispiel hat jeder eine alte Schulfreundin. Sie kommt überraschend zu Besuch, und, Sie wissen schon, der BH sitzt schlecht (man hat zugenommen), die Kleider wirken karitativ und das Make-up farblos.

Die Frage "Wie geht's" löst folgenden Sermon aus: "Mein Mann hat mich vor neun Jahren verlassen, er hat mich ja betrogen, aber ich hab trotzdem sechs Jahre gebraucht, um drüber hinwegzukommen. Die Psychotherapie hat mich dann in ein so großes Loch gezogen, dass nur die völlig missglückte Familienaufstellung die dadurch entstandenen Traumata ersetzen konnte. Die Eltern haben mich enterbt. Das hat mich zwar schrecklich mitgenommen, aber zum Ausgleich hab ich dann meinen Job verloren. Die Leute beim Arbeitsmarktservice sind ganz nett, aber irgendjemand hält meinen Antrag auf Umschulung zur Aerobiclehrerin zurück, wo ich doch 54 bin und gern endlich was Richtiges aus meinem Leben machen würde . . ."

Ja, und man schaut dann auf die Uhr und hofft, dass der Zug nach Hüstelbach bald fährt, wo die Loserin ein überteuertes Baumhaus bezogen hat, in das es zwar reinregnet, aber dafür geht die Heizung nicht. Solche Jammerer sind sicher eine Schande für ihr Metier.

Nicht so H. Wenn der jammert, sitzt jedes Wort. "Wie geht's?", fragt man, und die Antwort lautet: "Bestens - seit ich die Antidepressiva abgesetzt hab." Und dann geht's auch schon ab zum Yogakurs. Ich will ja nicht jammern, aber ich glaube, ich hätte nicht Sexkolumnistin werden sollen. Potenzielle Sexpartner werden abgeschreckt, weil sie befürchten müssen, in der Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Sexkolumnisten sind eigentlich wie Bankberater. Sie sagen einem, wie man sein Geld anlegen soll, aber sie selber müssen die Oma anschnorren, wenn sie auf Urlaub fahren wollen. Ihre Cosima Reif , Zufallskolumnistin (Der Standard/rondo/14/10/2005)