"Wer sich für den Krieg ausspricht, kann kein Christ sein", sagte Kardinal Rodríguez Maradiaga aus Honduras bei einer Diskussion mit STANDARD- Chefredakteur Gerfried Sperl am Montag.

Foto: Newald
Kardinal Rodríguez kämpft seit Jahren gegen die Armut. In Wien sprach er über die Korruption in Lateinamerika. Und kritisierte Präsident Bush wegen des Irakkriegs.

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Wien – Wenn Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga über Armut und Ungerechtigkeit spricht, klingt er mehr wie ein idealistischer Weltverbesserer, der in die Fußstapfen südamerikanischer Revolutionäre treten will, als ein angesehener Kardinal aus Honduras, dem sogar gute Chancen für die Papstwahl im Frühjahr 2005 nachgesagt wurden.

Der Kardinal, der sich den friedlichen Kampf gegen die Armut zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, nimmt sich kein Blatt vor dem Mund: "Die Korruption ist das Krebsgeschwür Lateinamerikas", oder "Die Armen brauchen nicht Almosen, sondern Chancen", wetterte er bei einer Diskussion unter dem Titel "Wie viel Zukunft hat die Kirche?" mit STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl im voll besetzten Wiener Haus der Musik.

Protest mit dem Volk

Auch die Methoden des Geistlichen sind unkonventionell: Als vor vier Jahren ein französisch-kanadisches Konsortium eine Goldmine im Siria-Tal in Honduras errichten wollte, führte der Kardinal wegen der drohenden Umweltschäden mehrere Demonstrationen gegen das Großprojekt an. Ein Foto mit einem mitten unter dem Volk marschierenden Kardinal sei manchmal eben wirkungsvoller als eine Eingabe im Kongress, sagt der 63-jährige Salesianer Don Boscos über sein politische Engagement, das ihm über die Grenzen von Honduras hinweg zu großer Sympathie verholfen hat.

Sein Gewissen und die katholische Soziallehre würden ihn dazu verpflichten, seine Stimme zu erheben. "Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich nicht der Ansicht, dass es die Aufgabe der Kirchenhierarchie ist, in der Sakristei zu bleiben", sagt Rodríguez.

Die Themenpalette bei der Diskussion Montagabend reichte von den Kriegen der vergangenen Jahre über den Spiritualismus in Lateinamerika bis hin zu dem Zusammenhang zwischen Seelsorge und Psychotherapie. Der 1970 zum Priester geweihte Rodríguez erwarb schließlich in Innsbruck ein Diplom in Psychologie und Psychotherapie.

Im Zentrum der Debatte stand aber das Engagement des Kardinals im Kampf gegen die Armut. Bereits Montagmorgen war Rodríguez, der auf Einladung der Don-Bosco- Aktion "Jugend eine Welt" in Österreich war, mit Bundespräsident Heinz Fischer zusammengetroffen, um sich für eine Steigerung der österreichischen Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent einzusetzen. 2004 lag Österreichs Beitrag zur Entwicklungshilfe bei mageren 0,23 Prozent des BIP.

Wie bereits der "UN-Bericht über die menschliche Entwicklung" 2005 warnte auch Rodríguez vor dem Verfehlen der acht von der UNO im Jahr 2000 gesetzten Millenniums- Entwicklungsziele (MDGs) und forderte einen Marshallplan für Afrika.

Gegen Korruption

In den MDGs wird unter anderem der Halbierung der Armut bis 2015 festgeschrieben. Auch die Aktion "Jugend eine Welt", die Ausbildungsprogramme für verarmte Kinder und Jugendliche unterstützt, lanciert derzeit eine Kampagne zugunsten der MDGs. Um das Versickern von Hilfsgeldern zu vermeiden, forderte der Kardinal den Westen dazu auf, verstärkt gegen die Korruption in den Entwicklungsländern vorzugehen.

Etwa 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr wären notwendig, schätzte Rodríguez, um die Ziele doch zu erreichen. So viel Geld bereitzustellen sei keinesfalls illusorisch, denn "schließlich habe der US-Kongress über Nacht 87 Milliarden Dollar für einen Krieg bewilligt".

Zum Thema Gewalt findet der 63-jährige generell klare Worte. Wie er es sich erkläre, dass sich immer wieder christliche Machtpolitiker – trotz ihres Glaubens – für den Krieg entscheiden, wollte Sperl von dem Kardinal wissen? "Jeder, der sich für Krieg ausspricht, darf nicht mehr als Christ bezeichnet werden", meinte Rodríguez.

Der Kardinal prangerte auch die Weigerung von US-Präsidenten George W. Bush an, sich im Vorfeld des Irakkrieges mit einem vom Papst entsanden Kardinal zu treffen, der den US-Präsidenten zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes auffordern sollte. Iraks Diktator Saddam Hussein habe den Gesandten dagegen empfangen.

Die Publikumsfragen an Rodríguez zielten auf den Reformbedarf innerhalb der Kirche ab. Ob die Kirche ärmer werden müsse, um im Kampf gegen die Armut glaubwürdig zu bleiben, fragte ein Zuseher. "Es gibt Strukturen, die jedenfalls vereinfacht werden müssen", antwortete der Kardinal. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2005)