Philipp Roth
Verschwörung gegen Amerika

Deutsch von Werner Schmitz
Hanser 2005

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Der am 19. März 1933 in New Jersey geborene Philip Roth ist einer der wichtigsten Schriftsteller der Gegenwart. Seit Jahren gilt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis. Er war Universitätsdozent für Englische Literatur und diente in der Armee. Seit Ende der 50er-Jahre publiziert er Romane, Erzählungen und Essays, in die sowohl sein jüdischer Hintergrund als auch seine - zahlreichen - Eheerfahrungen einfließen. Sein Hauptthema ist und bleibt aber die amerikanische Gesellschaft. Zu seinen wichtigsten Werken gehören "Mein Leben als Mann", "Portnoys Beschwerden", "Mein Mann der Kommunist", "Der menschliche Makel" und "Die Zuckerman-Trilogi ("Der Ghostwriter", "Zuckermans Befreiung" und "Die Anatomiestunde").

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DER STANDARD: Mr Roth, wegen Ihrer Rückenprobleme sind Sie gezwungen, Ihre Romane im Stehen zu schreiben ...

Philip Roth: Ja, wenn ich stehe oder gehe, ist das viel angenehmer, als im Sitzen zu schreiben.

DER STANDARD: Es heißt, Sie würden pro geschriebene Seite eine halbe Meile zurücklegen.

Philip Roth: Das ist wohl übertrieben.

DER STANDARD: Klingt trotzdem nach einem anstrengenden Ritual.

Philip Roth: Ist es gar nicht. Es ist auch kein Ritual, sondern eine Notwendigkeit. Ich habe einen schlimmen Rücken und muss es nun einmal so machen.

DER STANDARD: Die Kritiker haben in den vergangenen Jahren jeden Ihrer Romane zu einem Meisterwerk erklärt und wundern sich, dass Sie - anders als andere große US-Autoren wie Hemingway oder Faulkner - mit zunehmendem Alter nicht nachlassen.

Philip Roth: Mr Hemingway und Mr Faulkner sind bedauerlicherweise beide Anfang 60 gestorben, ich habe sie also schon um zehn Jahre überlebt. Beide waren leider alkoholsüchtig, und das hat sie letztlich umgebracht. Schriftsteller, die trinken, haben nie lange Karrieren, weil sie nicht lange genug leben. Fitzgerald war auch so ein Kampftrinker, er starb mit 44, glaube ich. Es ist nicht gut, wenn du säufst. Und ich trinke nicht. Das hilft.

DER STANDARD: Ihr neuer Roman, "Verschwörung gegen Amerika", ist eine erschreckende "Was wäre Wenn?"-Fiktion. Sie schreiben über Geschichte, die sich so nie zugetragen hat. Statt des liberalen Franklin D. Roosevelt lassen Sie 1940 den Fliegerhelden und Nazifreund Charles Lindbergh US-Präsident werden. Kurz darauf werden auch in den USA Juden verfolgt und ermordet. Was hat Sie daran fasziniert, die Vergangenheit so zu verändern?

Philip Roth: Es war nicht weniger faszinierend, als sich irgendetwas anderes vorzustellen. Alle meine Romane entspringen meiner Vorstellungskraft, in der Hinsicht war es ein Roman wie jeder andere. Nur dass ich mich in diesem Fall gegen die verbürgten Fakten gestemmt habe. Das war schon eine Herausforderung. Ich habe mich sehr angestrengt, dieses Szenario glaubwürdig und stimmig erscheinen zu lassen.

DER STANDARD: Dass die Saat des Antisemitismus auch in den USA gelegt war, ist keine Fiktion. Neben Lindbergh versuchte beispielsweise auch Wirtschafts- Tycoon Henry Ford mit offen antisemitischen Schriften Politik zu machen. Warum ist es dort nicht zu jener Katastrophe wie in Europa gekommen?

Philip Roth: Das will ich Ihnen sagen. Antisemitismus war in den 30er-Jahren ein weltweites Phänomen. In den USA hatte die Welle des Antisemitismus zu dieser Zeit ihren Höhepunkt erreicht. Dann wurde Roosevelt 1932 Präsident und fing damit an, Amerika aus der Depression zu führen. Während sich das Land erholte, nahm die Gefahr von gewalttätigen Ausschreitungen ab. Hinzu kam, dass es in den USA sehr viele verfassungsmäßige Barrieren gab, die so etwas verhindert hätten. Der Antisemitismus blieb auf ein soziales Level beschränkt: Juden konnten in bestimmten Bereichen keine Jobs bekommen, sie konnten bestimmte Colleges nicht besuchen, waren in bestimmten Gesellschaftskreisen nicht willkommen. Aber es gab hier nie diesen ansteckenden, bösartigen Antisemitismus wie in Europa. Sicher, es gab eine kleine Nazi-Partei, die hatte jedoch keine Bedeutung. Halt, das stimmt so auch nicht. Sie hatten insofern Bedeutung, weil sie Ärger verursachten. Aber sie hatte nie mehr als 25.000 Mitglieder.

DER STANDARD: In einem Essay über die Hintergründe Ihres Romans schreiben Sie, es gibt keine Gewissheit, dass so etwas in den USA nie passieren könne. Das klingt so, als sei Ihr Glaube an das Fundament der US-Demokratie etwas durchgeschüttelt worden.

Philip Roth: Nicht wirklich. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen. Nur glaube ich nicht, dass wir uns in den USA derzeit in einer ernsthaft gefährlichen Situation befinden. Wir haben nur eine rechte Regierung, die demokratisch gewählt wurde. Was will man da machen? Dennoch stehe ich zur Kernaussage meines Satzes: Es gibt keine Gewissheit, dass sich das, was in den 30er- und 40er-Jahren in Deutschland geschah, nicht auch anderswo ereignen kann.

DER STANDARD: Warum sind Sie mit Ihrer Kritik der aktuellen US-Politik auf einmal so zurückhaltend? Sie haben sich doch in Essays sehr deutlich von Bush und seiner Wählerschaft distanziert: Er sei zu dumm, einen Baumarkt zu leiten, ganz zu schweigen von einer Nation. Und weiter: Die wiedergeborenen Christen seien die ignorante Version des intellektuellen Lebens ...

Philip Roth: Wann und wo soll ich denn den letzten Satz gesagt haben?

DER STANDARD: Der stand so in der "New York Times".

Philip Roth: Kann schon sein, dass mich da jemand so zitiert hat - aber dieses Zitat ist nicht akkurat. Sie dürfen sich nie auf das beziehen, was andere schreiben, das ich gesagt habe - nur auf das, was ich selbst geschrieben habe. Die restlichen Aussagen sind oft Konstruktionen, die von Journalisten geformt wurden. Die Medien sind ein abscheuliches Geschäft - aber das wissen Sie besser als ich.

DER STANDARD: Aber das erste Zitat stimmt?

Philip Roth: Ja.

DER STANDARD: Gab es irgendwelche Reaktionen auf Ihre Präsidentenschelte?

Philip Roth: Die nationale Vereinigung der Baumärkte in Amerika schrieb einen wütenden Brief an die New York Times, in dem sie gegen meinen Vergleich protestierten. Was soll ich da sagen? Kommen Sie, leben Sie in Amerika!

DER STANDARD: In den USA dominierte lange Zeit die Weltsicht: "Das Böse gedeiht überall, nur nicht bei uns." Seit dem 11. September hat sich das verändert. Und diese Angst, im "Land of the Free" vom Bösen geschlagen zu werden, spiegelt sich auch in ihrem Buch wider - obgleich in einem anderen historischen Kontext.

Philip Roth: Ich möchte Ihr Statement infrage stellen, dass Amerikaner denken, "das Böse sei überall, nur nicht in Amerika". Die USA sind ganz bestimmt kein Ort, der sich des Bösen nicht bewusst ist. Wir hatten vor 300 Jahren das Böse in Form der Sklaverei, die schlimmste Form des Bösen überhaupt. Wir hatten in diesem Land einen großen Bürgerkrieg, der gefochten wurde, um die Sklaverei abzuschaffen. Es gab schreckliche Verluste. Das hat die Nation die folgenden hundert Jahre gespalten. Bis 1965 gab es keine Gerechtigkeit zwischen Schwarzen und Weißen als Folge des Krieges. In diesem Land hatten Menschen immer unter großen Ungerechtigkeiten zu leiden - derer man sich auch bewusst ist. Es ist ein Klischee anzunehmen, die Amerikaner hätten das Böse immer nur woanders gesehen, nur nicht in ihrem eigenen Land. So empfindet zumindest niemand, den ich kenne.

DER STANDARD: Kennen Sie André Glucksmanns neues Buch "Hass"?

Philip Roth: Nein, kenne ich nicht.

DER STANDARD: Der französische Philosoph beschreibt darin den gegenwärtigen nervösen Zustand der Welt: Die H-Bombe ist von der humanen Bombe abgelöst worden, ihr Treibstoff ist der Hass. Glucksmann sieht drei Formen des Hasses: den Hass gegen Frauen, den Hass gegen Juden, den Hass gegen Amerikaner. Seine These: Hass wird nicht durch bessere Verständigung ausgelöscht, er ist einfach da. Er sei wie eine ansteckende Krankheit, wir sollten uns offener damit auseinander setzen.

Philip Roth: Klingt sehr interessant, erzählen Sie mir mehr davon. Wer hasst denn die Amerikaner?

DER STANDARD: Zunächst einmal die islamistischen Extremisten.

Philip Roth: Sie sind tragische Opfer ihrer eigenen religiösen Intoleranz sowie der undemokratischen Länder, aus denen sie kommen. Und so bahnt sich ihr Hass seinen Weg. Und sie rebellieren ja nicht gegen ihre Unterdrücker in ihren eigenen Ländern. Nein, sie sehen stattdessen in den Twin-Towers in New York ihren Unterdrücker. Es ist eine tragische Lächerlichkeit oder eine lächerliche Tragödie. Der 11. September hat der Welt eine Wunde zugefügt, die wir noch lange spüren werden. Aber ich kann ihren Hass auf Amerika nicht ernst nehmen.

DER STANDARD: Warum nicht?

Philip Roth: Weil die Islamisten keine freie Meinung haben, sie haben keine Informationen, sie haben, wie Mr. Glucksmann sagt, nur Hass. Und der Hass wird von ihrer Selbstentstellung geformt - einer kulturellen, sozialen wie politischen Entstellung.

DER STANDARD: Sie haben zuletzt eine hochgelobte Trilogie darüber geschrieben, was die amerikanische Identität in der letzten Hälfte des amerikanischen Jahrhunderts ausgemacht hat. Wie hat sich diese Identität nach dem 11. September verändert?

Philip Roth: Ich würde den 11. September gerne von den drei Büchern trennen. Ich weiß nicht, wie sich die Identität der Amerikaner verändert hat. Ich weiß es wirklich nicht. Einerseits fällt es mir zuweilen sehr schwer, die Administration der vergangenen fünf Jahre von der Identität dieses Landes zu trennen. Andererseits gehen die Menschen in diesem Land ihren Weg, ohne dass man das als Verlängerung der Administration sehen würde. Die US-Gesellschaft hat ihr eigenes Leben. Die Leute machen weiter mit ihrer Arbeit. Aber die Auswirkungen des 11. Septembers sind spürbar. In einigen großen Städten sind viele Leute verängstigt - manchmal, nicht ständig, besonders in Washington und New York. Woanders dagegen ist die Bedrohung nicht sehr real. Vielleicht gibt es diese schwelende, große Bedrohung nicht. Ich weiß es nicht. Niemand weiß zurzeit, was dieses Ding, der 11. September, eigentlich ist.

DER STANDARD: Haben Sie Freunde hier?

Philip Roth: Ein paar. Ja. Ich kenne Mr Enzensberger, er ist der einzige deutsche Schriftsteller, den ich noch kenne. Ich kannte auch Heinrich Böll und kenne Günter Grass. Ich habe fast alles gelesen, was sie geschrieben haben. Mit wenigen Ausnahmen. Ich habe beide getroffen, als sie hier in den USA waren. Grass kam zur Uni von Pennsylvania, als ich dort lehrte. Heinrich Böll habe ich in New York getroffen, kurz nachdem er den Nobelpreis bekommen hatte. Wir haben uns angeregt unterhalten, er war ein eher förmlicher Gentleman. Ich hatte großen Respekt vor ihm.

DER STANDARD: Hat der Nobelpreis Böll und Grass geholfen, in den USA wahrgenommen zu werden?

Philip Roth: Wissen Sie, viele meiner US- Kollegen kennen natürlich nicht nur diese beiden deutschen Autoren, sondern auch Handke, Christa Wolf und andere. Aber der Großteil der Amerikaner wusste und weiß nichts mit ihnen anzufangen. Wie sollten sie auch? Sie kennen ja noch nicht einmal amerikanische Schriftsteller. Wie sollten sie da deutsche kennen? Literatur spielt in den USA keine Rolle mehr. Das ist jedenfalls meine Wahrnehmung. Schriftsteller sind in diesem Land nicht sehr angesehen. Das ist schon seit Langem so. Die Amerikaner lesen gar nichts mehr. Es gibt so viele Formen der Unterhaltung, die leichter zugänglich sind als Bücher.

DER STANDARD: Wenn sich niemand mehr für Bücher interessiert, wie erklären Sie sich, dass Teenager die 800-Seiten dicken Romane von Harry Potter verschlingen?

Philip Roth: Ich habe sie nie gelesen, kann also nicht sagen, ob sie gut oder schlecht sind. Aber es stimmt, diese Bücher bringen Kinder zum Lesen, das lässt sich nicht bestreiten. Es reißt sie für eine halbe Stunde vom Fernseher los.

DER STANDARD: Ein bisschen länger brauchen sie schon, um diese Wälzer zu Ende zu lesen.

Philip Roth: Es ist ein Phänomen, mehr nicht. Das wird auch wieder verschwinden. Aber es stimmt mich nicht hoffnungsvoll, was die Wertschätzung der Literatur in diesem Land betrifft.

DER STANDARD: Hat Literatur in Europa noch einen anderen Stellenwert?

Philip Roth: Keine Ahnung, sagen Sie’s mir.

DER STANDARD: Ich denke schon. Es ist schon auffallend, wie viele US-Autoren den Niedergang der Literatur in ihrem Land beklagen, obwohl es in den USA eine Fülle von "Creative writing"-Seminaren an den Unis gibt.

Philip Roth: Diese Workshops sind doch einfach nur dumme Veranstaltungen.

DER STANDARD: Sie haben doch selbst einmal so etwas unterrichtet.

Philip Roth: Hab ich nicht. Na gut, ich habe es in den frühen 60ern gemacht, weil ich einen Job brauchte. Ich war damals gerade 20. Als ich in Iowa unterrichtete, gab es dieses Angebot nur zweimal in den gesamten USA. Jetzt gibt es sie überall. Das Phänomen der "Creative writing"-Kurse ist relativ neu, hat sich in den vergangenen 20, 25 Jahren entwickelt. Es ist lächerlich.

DER STANDARD: Warum?

Philip Roth: Warum? Weil 19- oder 20- Jährige nicht schreiben können. Darum. Warum sich überhaupt mit ihnen beschäftigen? Man sollte sie lehren, gutes Englisch zu schreiben, aber zum Geschichtenschreiben anleiten ... Sie haben keine Lebenserfahrung, sie haben keine Erfahrung mit Literatur. Wie sollen sie da schreiben können? Es ist wie im Kindergarten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.10.2005)