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Landesfahne von Jamaika mit Menschen im Hintergrund

Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Wir saßen beim Frühstück, Früchte wurden gereicht, und wir unterhielten uns prächtig von einem Tisch über den anderen hinweg. Da stieß jemand seinen Ellbogen in meine Rippen, dass mir die Luft wegblieb, und die Blamage war perfekt: Ich hatte einen der wenigen Fehler gemacht, die man hier in Jamaika überhaupt begehen kann: jemanden ignoriert, der es gut mit mir meinte.

Die Dame, die Kaffee oder Tee brachte, erklärte streng, dass ich gefälligst eine Antwort zu geben hätte, wenn sie schon so nett wäre, mir Speis und Trank zu reichen. Und damit sind wir schon mitten in einem Land, das nicht nur eine Geographie hat, sondern auch eine Seele.

Die drittgrößte Karibikinsel transportiert ein mächtiges Lebensgefühl, das doch weit über eine freundliche Bevölkerung alleine hinausgeht. Das Schlüsselwort lautet "respect". Es wird als Gruß und Trinkspruch verwendet und soll die Bewohner der Insel vor gegenseitiger Geringschätzung bewahren. Und mit Geringschätzung haben die Jamaikaner Erfahrung, jedenfalls ihre Vorfahren.

Ursprünglich waren die Arawak-Indianer aus Venezuela hier eingewandert. Sie liebten den Frieden und zogen es vor auszusterben, als der rüde Columbus und seine Reisegefährten im Rahmen der ersten Globalisierungswelle die Insel betraten. Die Ureinwohner, die es jetzt noch gibt, heißen Maroons. Sie sind die Nachfahren jener Sklaven, die sich bis zu ihrer Befreiung immer wieder in Guerillakriegen mit der spanischen und englischen Herrschaft prügelten.

Sie führen heute in den Blue Mountains...

... ein bescheidenes, aufrechtes Leben und pflegen ihre Kultur, die auch auf ihre ghanaische Herkunft hinweist. Das muss gesagt sein, weil die grausame Vergangenheit über die Jahrhunderte ein stolzes Volk geformt hat, das Toleranz und gegenseitige Achtung in seiner Alltagssprache verankert hat, wie zum Beispiel eben respect, irie (gut) oder no problem.

In einem Land, in dem so viele Völker aufeinander getroffen sind und dann zusammengefunden haben, zuerst die Spanier, dann die Engländer, die westafrikanischen Sklaven und allerlei abenteuerliche Splittergruppen – sogar ein versprengter Haufen blonder, deutschstämmiger Menschen wohnt noch hier – ist Toleranz angesagt. Die Parole lautet "Out of Many, One People".

Die Jamaikaner haben auch eine eigene Sprache, die Patois genannt wird. Es ist ein Englisch, das alleine schon deshalb so gut wie gar nicht zu verstehen ist, weil es im Rhythmus afrikanischer Dialekte daherkommt und auch afrikanische Wörter enthält.

Diese eigene Sprache ist ein zentrales Stück Identität eines Volkes, das sich noch immer nicht hundertprozentig sicher ist, ob es auch tatsächlich hier bleiben will. Die günstigen klimatischen Bedingungen und die üppige Vegetation sichern den Menschen das Überleben, wenn selbst das Einkommen derer, die einen Job haben, noch unter unserem Begriff des Existenzminimums liegt. Und die Arbeitslosenrate von offiziell fünfzehn Prozent lässt auf eine mächtige Dunkelziffer schließen.

Der Tourismus ist fast die einzige Chance, über länger einen Job und eine Ausbildung zu kriegen. Die Tatsache, dass Jamaika zu den weltweit bedeutendsten Bauxitexporteuren zur Aluminiumherstellung gehört, nützt dem Volk wenig, weil Bauxitabbau kaum Arbeitsplätze bringt und nur große Konzerne davon profitieren.

Und das, was Jamaika über Jahrhunderte wirtschaftlich interessant machte, spielt in einer globalisierten, subventionsverzerrten Landwirtschaft auch keine wirkliche Rolle mehr: Zuckerrohr und Bananen bringen nur mehr geringe Exporterlöse. Bemühungen, eine ökologische Landwirtschaft aufzuziehen, stecken noch in den Kinderschuhen.

Zurück zur Identität: Jamaika hat sogar eine Bobmannschaft hervorgebracht, die bei Olympischen Winterspielen mit beachtlichem – vor allem medialem – Erfolg den Eiskanal hinunterpoltert. Sie wurde durch den Film "Cool Runnings" berühmt. Seither findet man hier in der Karibik die weltweit größte Sammlung an Eisschlitten außerhalb von St. Moritz. Jede dritte Strandbar hat einen alten Bob, nach Möglichkeit in den Nationalfarben lackiert in den Sand gestellt. Wirklich bedeutend als jamaikanisches Kulturgut ist naturgemäß aber etwas anderes: die Musik.

Hier treffen wir auf den tatsächlich wichtigsten "Exportartikel" Jamaikas, den Reggae. Er hat, als geläuterte Mischform zwischen Gospel und Woodoo-Zauber die populäre Musik, wie wir sie heute kennen, nachhaltiger beeinflusst als irgendeine andere Wurzel des Pop.

Der Rastafari-Kult, dessen Begleitmusik der Reggae ursprünglich war, tauchte in den Dreißigerjahren auf: eine schwer religiöse Gruppierung, die dem Alten Testament anhängt und nach biblischer Anleitung gerne wieder nach Afrika zurückgekehrt wäre. Als Kaiser Haile Selassie in Äthiopien inthronisiert wurde, machten sie ihn zu ihrem Gott, was international nicht gut ankam. Was substanziell von der Reggae-Revolution geblieben ist: rund hunderttausend Rastafari, die sich in aller Bescheidenheit in der Auslegung der Bibel üben, dazu vegetarisch essen, keinen Alkohol trinken, aber gerne einmal einen geisteserweiternden Ofen drehen.

Im Gegensatz zum psychischen Befinden der Insel ist Jamaika geographisch relativ schnell erklärt: 240 Kilometer lang, äußere Form wie eine Zigarre, zwei große Städte, Montego Bay in Nordwesten, Kingston im Südosten, der Tourismus-Brennpunkt Negrill liegt am westlichen Zipfel. Sandstrände, Klippen und Villen, die nur in Ausnahmefällen den Jamaikanern selbst gehören, sind gnadenlos dem ewig romantischen Sonnenuntergang ausgesetzt.

Der Süden der Insel ist weitläufige Plantagenlandschaft, der Norden und vor allem Nordosten ziemlich zerklüftet, kein Wunder, die Blue Mountains, das geologische Herzstück der Insel, ragen bis zu 2000 Meter über den Meeresspiegel hinauf. Auch wenn meist wolkenverhangen, kalt ist es auch am Gipfel nie.

Im Norden findet man auch die feinen Buchten und Flussmündungen zum Schnorcheln und Tauchen. Oder, um einen Wasserfall zu durchklettern. Bei allem Reichtum, den wir in den Alpen haben: Es ist ein unvergleichliches Gefühl, vom knapp dreißig Grad warmen salzigen Meer aus das ganz langsam kühler werdende Süßwasser hinaufzuschwimmen.

Klimatisch gesehen ist in Jamaika das ganze Jahr über Sommer, mit einer kleinen Spitze Ende August, Anfang September. Denn da erreicht die Meerestemperatur dreißig Grad, Hurrikans bilden sich, die in Jamaika meist noch relativ harmlos sind, dann aber in Richtung US-Küste nordwärts ziehen und wie zuletzt Rita gewaltige Verwüstungen anrichten können. Der überwiegende Teil der Jamaikaner lebt in Hütten, dagegen wären die 3000-Euro-Gartenhäusln in unseren Baumärkten Luxusquartiere. Fensterglas gibt's nur dann, wenn das Gebäude eine Klimaanlage hat. Das gilt übrigens durchaus auch für kleinere Hotels, in denen man am Schnittpunkt zum echten Jamaika komfortabel leben und sehr gut essen kann. Die sind dann aber immerhin aus Ziegel oder Beton und haben hölzerne Fensterläden und einen mächtigen Ventilator an der Decke.

Grundsätzlich ist die Gegend sehr menschenfreundlich: keine giftigen Viecher, durchwegs sauberes Trinkwasser, und akute Gefahr für Leib und Leben droht nur von Kokosnüssen, die vom Baum fallen (eher selten) oder von entgegenkommenden Autos (eher öfter), die sich durchwegs schnell und wegen der vielen Schlaglöcher hüpfend und zuweilen scheinbar außer jeglicher Kontrolle fortbewegen.

Eine ganz besondere Überraschung ist die tolle Küche. Man kann praktisch an jeder Ecke gegrilltes, scharf gewürztes, so genanntes Jerk Pork oder Jerk Chicken kaufen und auch tatsächlich ohne gesundheitliche Risiken essen, von den vielen exotischen Früchten ganz abgesehen. Sogar die Teigtascherlkette Juici Patties schlägt Mc Donald's mit links. Generell gibt es viele Speisen, die traditionellerweise auf offenem Feuer in Alutöpfen zubereitet werden und auch einem Europäer echte Bewunderung für die Kochkunst entlocken.

Die zahlreichen internationalen Hotelanlagen stellen auch schon den monumentalen Kontrast zum Leben der Einheimischen dar. Aus den USA ist es ein Katzensprung nach Montego Bay zum weltweit berühmten Half Moon Hotel, das 1950 gebaut wurde und seither von Österreichern geführt wird. Dort kann man neben luxuriösen Appartements auch ganze Villen samt Köchin und Butler mieten, was schon ein bissl kolonialherrschaftlich-peinlich anmutet.

Geld braucht man dafür auf jeden Fall wie ein Magnat. Was aber sein muss: zwischendurch raus aus der Hotelanlage. Wer nicht gerade gerne nächtens in den Armenvierteln von Kingston oder Montego Bay seine Gesundheit riskiert, für den gibt es ein so genanntes Meet-the-People-Programm. Da kann man sich von einer Familie auf einen netten Abend einladen lassen.

Man kann aber auch ohne fremde Hilfe etwas erleben, etwa auf einem Markt. Und da kommen wir wieder zurück auf die ganz zu Anfang erwähnte Situation: Jamaikaner können fast so viel Druck machen wie auf einem arabischen Bazar. Sie geben aber sofort eine Ruhe, wenn man freundlich sagt, dass man das, was angeboten wird, eben gerade einmal nicht braucht. Respect!

Service

Anreise: Ab 5. November 2005 gibt es jeden Samstag einen Direktflug der Lauda Air Wien-Montego-Bay. Zubringerflüge ab allen österreichischen Flughäfen sind im Angebot inkludiert. Lauda Air.

Reisezeit: Dezember bis April (Hochsaison)

Unterkunft: Tourismuszentrum mit allen Möglichkeiten, aber auch typischen Härten ist Negril ganz im Westen. Hier reihen sich unzählige All-inclusive-Clubs aneinander. Entlang der Nordküste zwischen Montego Bay und Ochos rios gibt es alle Arten von Unterkünften – vom Privatquartier bis zum First-Class-Hotel. Beschaulich wird es in Port Antonio, in den Blue Montains und an der Südküste.

Veranstalter: Karibikspezialist Sunny Islands. Tel.: 01 / 712 47 47. Hotels und Preise auf Online-Prospekt www.karibik.at. Jamaika Tourist Board: www.visitjamaika.com.


(Der Standard/rondo/07/10/2005)