Foto: Der Standard
Der Standard: Was haben Sie in Ihrer eigenen Zeit an der Universität am meisten gehasst? Veronique Branquinho: Nähen. Ich weiß, für einen Designer hört sich das eigenartig an, aber ich mochte es wirklich nicht. Und dabei sind Sie als Modedesignerin gerade für ihre technischen Fertigkeiten bekannt. Branquinho: Ich liebe es, über Silhouetten nachzudenken, über Proportionen und einzelne Details. Aber mit den genauen Schnitten hatte ich immer Probleme. Trotzdem muss man die Grundkenntnisse des Modedesigns beherrschen. Erst dann kann man einen Schritt weitergehen. Wenn man als Designer nicht anerkennt, dass sich Mode um den Körper dreht - um einen, der sich bewegt -, dann ist man auf verlorenem Posten. Das hört sich nach einem sehr praktischen Zugang an. Branquinho: Ich will nicht, dass meine Mode in Museen oder in Galerien hängt, ich will sie an Menschen auf der Straße sehen. Es ist wichtig, in diesem Job praktisch zu denken, wenn auch nicht an erster Stelle. Meine Mode verstehe ich durchaus auch als Reaktion auf das, was derzeit in der Welt vor sich geht. Ist dieser intellektuelle Anspruch der belgische Anteil in Ihrem Schaffen? Sie sind mit der belgischen Avantgarde, mit Ann Demeulemeester, Dirk Bikkembergs, Dries van Noten, Walter van Beirendonck aufgewachsen. Branquinho: Ich mag intellektuelle Kleider. Mitte der Achtziger sah ich das erste Mal die Arbeit dieser Gruppe. Damals interessierte ich mich wie jedes andere Mädchen in diesem Alter auch für Mode. Leute wie Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier waren gerade angesagt, alles drehte sich um Shows, Spektakel und Glamour. Wirklich berührt war ich davon allerdings nicht. Und dann sah ich die Arbeiten der beiden Designer Dirk van Saene und Martin Margiela - sie haben mich im Besonderen beeinflusst -, und plötzlich verstand ich etwas. Da war etwas Neues, das wollte ich auch machen. Was war das Aufregende? Branquinho: Es war eine ganz andere Sicht auf Mode. Die Dekonstruktion der Silhouette bei Margiela zum Beispiel, die hohen Schultern, die langen Röcke. Es ging nicht um eine Projektion auf eine nicht existierende Frau. Es waren echte Kleider für echte Menschen ... ... hinter denen allerdings viel Gedankenarbeit steckt. Was ist das eigentlich intellektuelle Kleidung? Branquinho: Wenn ich mit einer Kollektion beginne, dann denke ich nicht: Ich mache jetzt ein schönes Kleid. Es geht nicht um Schönheit, sie ist nur eine Kategorie unter vielen. Es geht darum, etwas zu sagen, es geht um eine bestimmte Haltung, auch gegenüber einer Modetradition. Ich denke auch an die Menschen, für die ich designe: selbstständig denkende Menschen, offen, mit einem Auge für Qualität. Und deren Körper möchten Sie nicht verschönern? Branquinho: Ich will nicht behaupten, dass Attraktivität nicht wichtig wäre, aber es geht um einen subtilen Umgang damit, es geht eher ums Ver- als ums Enthüllen. Subtilität ist auch eine wichtige Kategorie bei ihrem Vorgänger an der Modeklasse der Angewandten, bei Raf Simons. Sie gehören derselben Generation belgischer Designer an, sie waren ein Paar, jetzt sind Sie in Wien seine Nachfolgerin. Wird sich überhaupt etwas ändern? Branquinho: Wir sind doch so unterschiedlich! Er ist sehr wichtig in meinem Leben, er half mir sehr, vor allem am Anfang meiner Karriere. Aber ästhetisch trennen uns Welten. Er interessiert sich für Jugendkulturen, mich interessieren die Komplexität der Frau, Ambiguitäten, Qualitätsfragen. Wie hat er Ihnen den Job schmackhaft gemacht? Branquinho: Sein Enthusiasmus hat mich angesteckt. Es war sehr inspirierend für ihn, mit jungen Leuten zu arbeiten. Viel jünger als Sie selbst sind die Studenten an der Angewandten allerdings nicht. Branquinho: Ja, es ist wirklich komisch. Mal schauen, wie es funktioniert. Was werden Sie verändern? Branquinho: Ich werde mehr Struktur in das Institut bringen. Die Hierarchie zwischen den Jahrgängen sollte deutlicher werden. Ein Erstsemestriger wird sich mit anderen Dingen auseinander setzen müssen als jemand, der bereits vier Jahre studiert. Technische Fertigkeiten werden in den ersten beiden Jahren im Vordergrund stehen. Die Offenheit, die das System bietet, sehe ich erst in der eigenen Beschränkung als Vorteil. Das gilt auch für Höhersemestrige. Welche Meinung haben Sie von österreichischer Mode? Branquinho: Ich liebe Helmut Lang, seine Zeitlosigkeit. Ich konnte es gar nicht glauben, als ich hörte, dass es in Zukunft keine Lang-Kollektionen mehr gibt. Und ich mag Carol Christian Poell. Macht er überhaupt noch Kollektionen? Branquinho: Ja, er leistet sich allerdings den Luxus, nicht jede Saison eine Kollektion zu machen. Sie nehmen selbst auch gerne eine Position am Rande des Modebusiness ein. Branquinho: Ja, mich macht diese Personalisierung in der Mode manchmal richtig krank. Ich arbeite so hart an meinen Kollektionen, und dann will die Presse wissen, in welchem Hotel ich in New York schlafe. Manche Designer wie Viktor & Rolf benutzen dieses Prinzip affirmativ, und bei ihnen funktioniert es auch. Ich möchte das nicht. Trotzdem waren Sie bei der Chefin der amerikanischen "Vogue", bei Anna Wintour, zum Tee geladen. Fürchten Sie die Macht der Presse? Branquinho: Absolut. Ich wollte nie der nächste Hype der Medien sein. Diese Gefahr bestand, als ich angefangen habe. Aber ich denke, ich habe etwas zu sagen, meine Arbeit ist kein Trend, ich arbeite an einem individuellen Stil, an Zeitlosigkeit. In diesem Herbst/Winter zeigen Sie eine sehr spezielle Kollektion: Sie ist komplett schwarz. Sie machen auf mich alles andere als einen düsteren Eindruck. Branquinho: Schwarz bedeutet nicht unbedingt düster. Es war eine der wichtigsten Kollektionen bisher. Ich bin zu vielen Nebenwegen gefolgt, ich habe mich selbst aus den Augen verloren. Da habe ich mich gefragt: Was sind die Grundlagen? Deswegen habe ich Schwarz als Farbe gewählt, ich wollte einfach keine farbliche Ablenkung haben. Ich wollte zu einer neuen Essenz vordringen, eine engere Silhouette, näher am Körper, strukturierter, mit vielen Details. Ihre Arbeit ist sehr autobiografisch gefärbt. Und Sie lieben die kleinen Brüche, die Verunsicherungen. Vor einiger Zeit war eine Ihrer Kollektion von den Arbeiten David Lynchs inspiriert. Branquinho: Ja, meine Mode dreht sich immer auch um das Unheimliche, das Gehen auf unsicherem Terrain. Als ich das erste Mal nach Wien kam, fiel mir diese Sauberkeit, diese Ordnung auf. Ich habe mich sofort gefragt, was hinter dieser Fassade steckt. Und was steckt dahinter? Branquinho: Ich weiß es noch nicht. Ich werde es aber hoffentlich in den nächsten Jahren rausfinden. (Der Standard/rondo/07/10/2005)