Lloyd deMauses Buch "Das emotionale Leben der Nationen" erscheint dieser Tage im Drava-Verlag.

Foto: DER STANDARD/Regine Hendrich
Der US-Psychohistoriker Lloyd deMause sucht nach Bindegliedern zwischen frühkindlichen Erfahrungen und gewalttätiger Weltgeschichte. Was er bisher gefunden hat, verriet er Michael Freund.

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STANDARD: Wie kamen Sie darauf, sich mit der Anwendung von Psychoanalyse auf die Erklärung gesellschaftlicher Konflikte auseinander zu setzen?
DeMause: Das war nach dem Koreakrieg, und ich wollte mehr über die Ursache von Kriegen wissen. Ich wollte wissen, warum die Nazis verrückt waren, und bin schließlich bei der Kindheit von Diktatoren gelandet, wie der Expansionsdrang nach ,Lebensraum' bereits in den extrem restriktiven Praktiken bei Kleinkindern angelegt war - ganz wörtlich: dass sich Babys tagelang nicht in ihren engen Windeln rühren konnten.

STANDARD: Die Verknüpfung von analytischer und politischer Theorie zu einer "theory of everything", die Gesellschaft betreffend, ist doch schon in den revolutionären Zwanzigerjahren versucht und dann als gescheitert betrachtet worden.
DeMause: Ich würde nicht sagen, Erich Fromm ist gescheitert, auch nicht Klaus Theweleit, der mein Buch Reagans Amerika herausgegeben hat.

STANDARD: Theweleit ist in den 70ern mit seinem Werk über ,Männerfantasien' der Nazigeneration bekannt geworden, hat auch über deren psychologische Wurzeln geschrieben.
DeMause: Aber er ist nicht auf die Details der Erziehung eingegangen, die überhaupt von der Geschichtsforschung vernachlässigt werden - deswegen habe ich ja die Psychohistorische Vereinigung gegründet. Er hat sich außerdem mehr um die Fantasien einer Generation gekümmert und ist daher nicht auf bestimmte zyklische Muster gekommen.

STANDARD: Nämlich welche?
DeMause: Etwa Gruppenfantasien, Titelbilder von Magazinen, Filme, Karikaturen und so weiter. Wir haben sie untersucht und sind zum Schluss gekommen, dass sie gute Indikatoren dafür sind, dass ein Krieg bevorsteht, auch ohne expliziten Hinweis. Ich habe bei allen Kriegen solche Voraushinweise gefunden.

STANDARD: Rückblickend Kriege vorherzusagen mag leichter sein als prospektiv.
DeMause: Vorausblickend würde ich sagen, dass Europa keine kriegerischen Konflikte bevorstehen, weil sich Erziehungspraktiken in den letzten 60 Jahren verbessert haben. Statistiken sagen, dass heute in Österreich die Erziehungspraktiken kinderfreundlicher sind als in Amerika.

STANDARD: Den Eindruck hat man bei uns nicht immer. Aber wie ist es, zurzeit ein Psychohistoriker in den USA zu sein?
DeMause: Besonders schwierig. Wir sind in einer Backlash-Periode. In den ,roten' Staaten gehen Erziehung und autoritäre Politik Hand in Hand. Wo immer ich dort hingehe, sagen die Leute, ich sollte rausgeschmissen und gerichtlich belangt werden.

STANDARD: Wir würden Sie Ihre Einsichten zusammenfassen?
DeMause: Ich würde sagen, dass Kriege und Depression gleichermaßen selbstzerstörerische Handlungen sind. Anders als die meisten Historiker und Politökonomen sehe ich Kriege nicht als rationale Unterfangen mit ebensolchen Zielen. Das ist historisch nicht richtig. Kriege werden häufiger gerade nach einer Periode relativen Wohlstands angezettelt, und sie sind dann noch gewalttätiger - und nicht einmal von Erfolg gekrönt! Was ist daran rational?

STANDARD: Im Fall Irak vielleicht der Drang nach Öl, oder Hegemonie im Nahen Osten, oder Eindämmung Chinas?
DeMause: Nehmen wir nur das Öl: Irak produziert jetzt bedeutend weniger, und es kostet bedeutend mehr - wo ist da die Ratio? Der Hegemonie hat es nicht geholfen, die USA haben jetzt Feinde in aller Welt.

STANDARD: Und was, glauben Sie, steht nun also bevor? DeMause: Eher eine weltweite Rezession als neue Kriege. Das hat damit zu tun, dass die amerikanische Öffentlichkeit schon jetzt - nicht erst nach zehn Jahren wie in Vietnam - des Irakkriegs müde ist. Das wird nicht vorübergehen. Aber das riesige Staatsdefizit wird uns eine ebenso riesige Wirtschaftskrise bescheren. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 05.10.2005)