Wer im Zeitalter von Billigfliegern und digitaler Vernetzung touristisch nichts Spezielles bieten kann, ist weg vom Fenster, sagt der Trend- und Zukunftsforscher Andreas Reiter.

Foto: Der Standard/Regine Hendrich
STANDARD: Was ist los im Tourismusland Österreich? Immer öfter ist von Krise die Rede.

Reiter: Eines unserer Hauptprobleme ist die starke Abhängigkeit von einem einzigen Markt - Deutschland. Stellen Sie sich vor, ein Autohersteller hätte nur einen großen Zulieferer. Wenn der Probleme hat, kippt unter Umständen die ganze Produktion.

STANDARD: Aber Österreich ist mit der einseitigen Ausrichtung lange Zeit sehr gut gefahren.

Reiter: Österreich fährt auch jetzt noch gut. Wir sind den Deutschen und Schweizern von der Strategie her sieben bis zehn Jahre voraus. Wir haben nicht die großen Maschinenbauer wie die Deutschen, keine große Pharmaindustrie wie die Schweiz. Wir verstehen etwas von Tourismus, das ist unsere Monokultur.

STANDARD: Also alles paletti?

Reiter: Nein. Faktum ist, dass sich die Tourismuswirtschaft in einer Transformationsphase befindet. Bisher erfolgreiche Konzepte greifen nicht mehr, die Marktbedingungen haben sich völlig verändert.

STANDARD: In welcher Weise?

Reiter: Der Zugang zu Destinationen ist einfacher, schneller und günstiger möglich als früher. Mit Billigfliegern kommt man in die entlegensten Orte. Die Gäste sind mündiger, sind weit gereist und haben viel gesehen.

Und dann die digitale Vernetzung: Jeder und jede kann mit einem Mausklick Sekundenschnell durch touristische Destinationen zappen. Wer da nicht etwas Spezielles bieten kann, ist schnell Weg vom Fenster.

STANDARD: In welche Richtung muss es gehen?

Reiter: Die traditionellen Quellmärkte in Europa sterben uns weg. Deshalb müssen wir uns breiter aufstellen. Österreich hat bei den Gästen derzeit nur einen Anteil von knapp fünf Prozent von außerhalb Europa, die Schweiz hat einen vier- bis fünfmal höheren Anteil.

STANDARD: Wir kriseln auf hohem Niveau?

Reiter: Wir hängen zu stark an Erfolgsstrategien von gestern. Weil Wellness vor zehn Jahren erfolgreich war, glauben viele, dass das noch lange so bleibt. Dabei ist der Zug eigentlich schon wieder abgefahren.

STANDARD: Muss es dem österreichischen Tourismus erst viel schlechter gehen, damit ein tief greifendes Umdenken einsetzt?

Reiter: Das glaube ich nicht. Es ist inzwischen unbestritten, dass wir dringend neue Produkte brauchen. Stichwort Jugend: Eines der großen Probleme ist, dass wir für junge Leute nicht attraktiv sind. Es fehlt an hippen Angeboten, fetzigen Hotels, die sich auch Jugendliche leisten können.

STANDARD: Man könnte sagen, was brauchen wir die Jugend? Hätscheln wir die ältere Generation, das ist die Mehrheit.

Reiter: Das ist ein Denkfehler. Je älter die Babyboomer-Generation wird, desto mehr braucht man junge Angebote. Thomas Gottschalk, Joschka Fischer - das sind keine Senioren. Die bekommt man nur dorthin, wo Action ist, wo sich etwas bewegt.

STANDARD: Wir brauchen also die Jungen der Alten wegen?

Reiter: Genau. Gleichzeitig muss man aber höllisch aufpassen bei der Angebotsgestaltung. Viele Touristiker glauben, alles anbieten zu müssen - mitnichten. Ich plädiere für eine klare Produktdifferenzierung.

Bad Tatzmannsdorf im Burgenland etwa oder Aachensee in Tirol - das sind Lauf- und Vitalregionen. Die haben ein klar umrissenes Profil und fahren gut damit. Aber auch Ballermann-Destinationen muss es geben.

STANDARD: Im Winter scheint die Bergwelt gut zu funktionieren, im Sommer weniger.

Reiter: Da ist tote Hose bei uns. Wir müssen die Berge dramatisch urbanisieren, um sie für die jungen Leute sexy zu machen. Was wir in Wien im 7. Bezirk an Szenelokalen haben, müssen wir in die Berge transferieren, Cottages renovieren, Gipfel inszenieren. Über kurz oder lang hilft uns auch der Klimawandel.

STANDARD: Wie bitte?

Reiter: Ja, der Klimawandel kann zum Viagra des lendenlahmen österreichischen Sommertourismus werden - vorausgesetzt es gelingt uns, schlimme Nebenerscheinungen wie Murenabgänge in den Griff zu bekommen.

Trotz insgesamt höherer Temperaturen wird es bei uns lebenswerter sein als am Mittelmeer. Dann verschieben sich Touristenströme vom heißen italienischen Strand in die wohl temperierte Bergwelt.

STANDARD: Und der Winter?

Reiter: ... wird in Zukunft ein Winter ohne Schnee sein - zumindest was die Mehrzahl der Destinationen betrifft. Wir müssen umdenken und Produkte schaffen, die ohne Schnee funktionieren.

STANDARD: Zum Beispiel?

Reiter: Fun Tools, die keine Schneeunterlage benötigen. Außerdem: Gäste aus neuen Quellmärkten wie Indien oder den Emiraten brauchen nicht unbedingt Schnee im Tal. Vielen genügt ein schneebedeckter Gipfel, um sich wohl zu fühlen. Das sollte mythologisch inszeniert werden.

STANDARD: Auf was sollten wir uns in Zukunft einstellen?

Reiter: Auf eine starke Respiritualisierung der Gesellschaft. Das immer Schneller, Höher, Weiters wird irgendwann der Plafond erreicht sein. In einer alternden Gesellschaft rückt die Sinnfrage viel stärker in den Vordergrund. Den Sinn findet man in der Natur und in der Kultur. Österreich hat von beidem viel.

STANDARD: Was passiert dann mit den Erlebniswelten?

Reiter: Die Konsumenten sind unglaublich hybrid und werden es in Zukunft noch mehr sein. Wir müssen es schaffen, Sinn und Unterhaltung zusammenzubinden. Die katholische Kirche mit ihrer Jahrtausendelangen Tradition der Inszenierung weiß sehr gut, wie das geht. Touristiker sollten einen Crashkurs im Vatikan machen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 03.10.2005)