Foto: Taschen Verlag

In den letzten zehn Tagen saß er an acht Tagen im Flugzeug. London, Chicago, New York, jetzt ist er in Berlin. Hier bereitet Wolfgang Tillmans, deutscher Fotograf und Turner-Preisträger des Jahres 2000 (der erste Nicht-Brite und der erste Fotograf in der Geschichte dieses gleichermaßen wichtigen wie umstrittenen Kunstpreises), eine neue Ausstellung vor: In einem Glascontainer am Rosa Luxemburg-Platz wird er Bilder aus 1989 zeigen, geschossen am Berliner Polenmarkt.

Seiner Heimat (geboren ist er 1968 in Remscheid) hat der Fotograf schon vor längerem den Rücken gekehrt. Seit Beginn der Neunziger lebt er in London. Vor allem das hier angesiedelte Fashionmagazin "I-D" machte ihn zum Star: in der Modeszene, aber dann vor allem in der Kunstszene. Er fotografierte die Techno-Szene und die Love-Parade, setzte seine Freunde in Baumkronen, sah ihnen beim Onanieren zu und dokumentierte - immer und immer wieder - die in seiner Wohnung zum Trocknen ausgelegten Socken.

Die oftmals als Schnappschüsse entstandenen (und viel öfter minutiös ausgetüftelten Bilder) bestimmten den Stil eines ganzen Jahrzehnts: "Tillmanish" nennen Art-Direktoren heute jene Ästhetik, die wie aus dem Leben gefischt ist: eine authentische, distanzlose Sprache. Werbung und Mode sogen sie begierig auf, die Kunstszene blieb lange skeptisch. Die Verleihung des Turner-Preises an Tillmans war denn auch von heftigen Reaktionen begleitet. Mittlerweile widmet sich der Fotograf vermehrt abstrakten Bildern, die ohne Kamera in der Dunkelkammer entstehen. Sie nehmen auch einen wichtigen Teil in Tillmans neuestem Buch "Truth Study Center" ein (Taschen Verlag € 19,99). Stillleben am Küchentisch, Partygetümmel, Naturaufnahmen und der Venustransit: In eine Schublade ist Wolfgang Tillmans auch nach so vielen Jahren nicht einordenbar. Und das ist gut so. (hil/Der Standard/rondo/30/09/2005)