Er ist der Vorzeigefotograf der Neunziger, sein um Fragen der Authentizität kreisender Stil krempelte die Werbe-, Mode- und Kunstästhetik um: Wolfgang Tillmans.

Foto: Tillmans

Das Partyleben lässt Tillmans auch mit 37 nicht los - ebenso wenig wie die Socken in seiner Wohnung. Mittlerweile widmet sich Tillmans vermehrt abstrakten Fotoarbeiten.

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Der Standard: Herr Tillmans, haben Sie heute bereits etwas Schönes gesehen? Wolfgang Tillmans: Das hört sich vielleicht kitschig an, aber als ich heute Morgen im Bett lag, aus dem Fenster blickte und den blauen Himmel und die Baumwipfel gesehen habe, das war schön. Wie wichtig ist Ihnen die Kategorie der Schönheit? Tillmans: Der Begriff der Schönheit ist eine gefährliche Sache, wenn man ihn benutzt, als wäre er eine absolute Größe. Von Teenagerbeinen an wird man mit einer sehr konservativen Sicht von Schönheit konfrontiert: Will man zerrissene Jeans anziehen, dann sagen die Eltern: Die sind nicht mehr schön, die sind hässlich. Ich finde, man muss Schönheit für sich selbst definieren. Auf einem Ihrer Fotos in Ihrem neuen Fotoband zeigen Sie einen behaarten Männerrücken. Finden Sie ihn schön? Tillmans: Also ich finde das Bild schön. Aber Körperhaare sind immer eine Geschmacksfrage. Amerikanische Männer finden deutsche Frauen zum Beispiel unheimlich, weil sie sich ihre Achselhaare nicht rasieren. Sie mögen Körperhaare? Ist das eine Opposition gegenüber dem herrschenden Ideal des haarlosen Männerkörpers? Tillmans: Negation ist kein guter Antrieb für die eigene Arbeit. Es ist viel kraftvoller, durch affirmative Gesten Gegenvorschläge zu machen. Ansonsten bleibt man in der Gegenreaktion gefangen. Deswegen habe ich auch das Bild des behaarten Rückens ins Buch genommen - neben einer sich beulenden Turnhose. Ein sexuell aufgeladenes Bild. Inwieweit spielt Ihr eigenes erotisches Begehren bei Ihrer Arbeit eine Rolle? Tillmans: Natürlich fotografiere ich das, was mich anzieht, aber das ist nicht reduzierbar auf einen erotischen Impuls. Ich fotografiere auch Frauen. Aber es ist doch ein bestimmter Männertypus, der Sie besonders interessiert. Tillmans: Ich habe nie dagegen gearbeitet, dass ich schwul bin. Meine Männerbilder verstehe ich auch als Alternativvorschlag zu dem, was sonst in der Schwulenszene dominant ist. Ich mag es ein bisschen persönlicher und - na ja - auch haariger. Meine Bilder sind ein Weder-noch, weder rasieren sich die Männer, die ich fotografiere, die Brust, noch sind die Kerle besonders martialisch. Sie haben etwas sehr Authentisches an sich. Tillmans: Dieser Wunsch steht zumindest im Hintergrund. Der Uniformität der männlichen Schönheitsideale möchte ich durchaus einen Gegenpol entgegensetzen. Ich finde das menschlicher. Sie zoomen öfters auf primäre Geschlechtsteile, ob von Frauen oder von Männern. Als Sie den Turner-Preis bekamen, hat man Sie in England einen Porno-Fotografen genannt. Wie sind Sie damit umgegangen? Tillmans: Es war vor allem eine Zeitung, die das gemacht hat, und andere Zeitungen haben das übernommen. Ich nehme Akt-Bilder sehr bewusst in meine Arbeit auf. Sie sind keine sensationellen Studien aus dem Sexmilieu, sie geben auch kein soziales Elend wieder. Aber ich finde, wie man einen Apfel fotografieren kann, so kann man auch einmal eine Scheide fotografieren. Sieht doch ganz interessant aus. Ich wollte immer schon nackte Menschen von unten fotografieren. Und das habe ich jetzt gemacht. Das hört sich naiv an. Tillmans: Ist es nicht. Diese Bilder sind, dadurch, dass man einfach einmal hinschauen kann, politisch. Wir sind alle nackte Tiere, und diese Bilder entschuldigen sich nicht dafür. Ich sehe darin eine solidarische Respektlosigkeit. Ist das Authentische das Wahre? Ihr neues Buch nennen Sie "Truth Study Center". Tillmans: Vielleicht. Ich will die Dinge so betrachten, wie sie sind. Das ist es ja, was den Menschen so schwer fällt: Die Evidenz, die sie sehen, mit ihren Erwartungen übereinstimmen zu lassen. In den vergangenen Jahren haben Sie sich den Quäkern angenähert. Was interessiert Sie an dieser Gemeinde? Tillmans: Mich interessiert das monastische Leben. Ich habe früher auch öfters die Taizé-Gemeinde in Frankreich besucht. Die Quäker haben eine unglaubliche Aufgeklärtheit. Jegliche menschliche Interpretation von Gott lehnen sie ab. Sie propagieren die Geschlechtergleichheit, und sie beziehen alles auf die unmittelbare persönliche Erfahrung. Dieses Vertrauen auf den eigenen Standpunkt, auf den eigenen Blick findet man auch in Ihren Fotos wieder. Tillmans: Ich glaube, es ist eine ähnliche Geisteshaltung. Letzten Endes ist man mit seinem Blick auf die Welt allein gelassen. Das ist unsere Möglichkeit, uns zu lokalisieren und uns zu verstehen. Wenn man darauf vertraut und wenn man in der Lage ist, seine Erfahrungen mit seinen Erwartungen abzugleichen, dann fordert das auch zu großer Bescheidenheit heraus. Verträgt sich die moralische Geisteshaltung der Quäker mit Ihren sexuellen Interessen? Ich habe gelesen, Sie mögen SM-Clubs. Tillmans: Die Quäker sagen, dass man mit seinem Leben verantwortlich umgehen soll. Das schaffe ich nicht immer. Promiskuität finde ich allerdings nichts Unmoralisches. Es ist nur die Frage, ob der sexuelle Austausch auch solidarisch stattfindet. Gerade in sexuellen Nischenszenen gibt es oft eine interessante, intensive Menschlichkeit. Warum ist das so? Tillmans: Wenn sich Menschen über ihre Interessen zusammenfinden, dann gehört da ein großes Maß an Ehrlichkeit dazu. Das ist eine befreiende Erfahrung. Und diese Ehrlichkeit finden Sie in schwulen SM-Clubs? Tillmans: Ich will das nicht plakativ gleichstellen, aber in der Kirche und im Sex-Club mache ich ähnliche Erfahrungen: Hier kommen Menschen zusammen und empfinden eine große Gemeinsamkeit und Gleichheit - eine kostenlose dazu. Gleichheit, das ist eine sehr wichtige Kategorie für Sie. Tillmans: Das ist auch ein wichtiger Grundzug meines Buches: Die Freude daran, einen Baum, die Natur oder die Sterne anzugucken, das macht die Menschen gleich. Genauso wie die Nacktheit. (Der Standard/rondo/30.09.2005)