Verdis "La Forza del destino"

Foto: Forster
Premierenmarathon in Berlin: Die Deutsche Oper Berlin brachte "Sophie's Choice", die Staatsoper Unter den Linden Verdis "La forza del destino" und die Komische Oper Berlin Puccinis "Madame Butterfly".


In Berlin konkurriert im Moment die deutsche Politik mit der Oper. Das Spielchen: "Wer mit wem?" und "Zu welchen Bedingungen?", das war bisher eher die Domäne der drei Opernhäuser, die schon seit der Wende in herzlichster Abneigung auf eine Weise zusammenhängen, wie das nur in Berlin geht. Jetzt zwar mit Stiftungsdach, aber im Grunde doch im Wettbewerb und nun mit drei Premieren sogar direkt vergleichbar.

Was die Deutsche Oper, im Westen der Stadt, aus Nicholas Maws, 2002 in London uraufgeführten Sophie's Choice (mit einer überzeugenden Angelika Kirchschlager in der Titelpartie) gemacht hat, wird man demnächst auch an der Wiener Volksoper beurteilen können. Markus Bothes sparsame Inszenierung dieses Auschwitz-Erinnerungsstückes, kann den Widerspruch zwischen der Thematisierung des großen Traumas und einer leichtgewichtigen Musik nicht überbrücken. - Immerhin exzellent präsentiert.

Die beiden Opernhäuser im Osten der Stadt setzten musikalisch auf Verdi und Puccini: La forza del destino unter Michael Gielen mit der manchmal lärmigen Staatskapelle und respektablen Protagonisten an der Staatsoper Unter den Linden - und eine (immer noch dem Felsenstein-Diktum verpflichtete, in Deutsch gesungene) Madama Butterfly unter Daniel Klajner an der Komischen Oper. Beide Intendanten (Peter Mussbach und Andreas Homoki) wollten mit den Regisseuren Stefan Herheim und Calixto Bieito das Erregungspotenzial nutzen. Zufällig haben beide Regisseure jeweils schon einmal mit einer gegen den Strich gebürsteten Mozart-Entführung die Gemüter erregt. Herheim mit seinem Turbo-Mozart in Salzburg und Bieito mit seiner durchbrutalisierten Version an der Komischen Oper.

Schwache Arbeit

Eigentlich unerwarteterweise kann die Linden-Oper diesmal der kleineren Konkurrenz gegenüber einen leichten Vorsprung auf dem Erregungsanzeiger für sich verbuchen. Was auch daran liegt, dass Bieito eine seiner schwächsten Arbeiten ablieferte. Sicher, bei Herheim ist wieder zu viel des klug gedachten Guten drin. Doch er hat auch eine erkennbare Idee und kommt mit Verdis Räuberpistole gut zurecht.

Dass beim ihm am Ende fast jeder auf der Bühne auch mal im Programmbuch nachgeschlagen hatte, worum es im Stück geht, gehörte zu den selbstironischen Gags einer turbulenten Inszenierung, bei der Herheim weniger auf eine plausible Szenenfolge setzt, als vielmehr auf einen szenischen Diskurs, bei dem es um innere Zerrissenheiten geht: Leonora (aufleuchtend: Norma Fantini) findet sich zwischen den Männern und oft doppelt auf der Szene - als die verklärte Geliebte Alvaros und als das konkret vergewaltigte Opfer. Und Don Alvaro (Frank Porretta) agiert in Alter-Ego-Ähnlichkeit mit dem racheversessenen Carlo (Anthony Michaels-Moore). Alles im Perspektivenwechsel zwischen Bett und Opernvorplatz, Innen- und Draufsicht.

Puccinis Madame Butterfly hat Bieito nicht nur jede süßliche Aura genommen, sondern gleich noch die emotionale Anteilnahme an diesem Frauenschicksal verhindert. Sicher kann man die Story in die Sextourismuswelt von heute überführen. Doch wenn in der Bordellatmosphäre mit dem Ganzkörper-Wellness-Angebot inklusive Sexakrobatik für die Besucher mit der entsprechenden Kreditkartenpotenz eines der ausgekochtesten Pferde im Zuhälterstall (etwas überfordert: Juliette Lee) am Ende Amok läuft, Kind und Freundin umbringt und dem Wahnsinn verfällt, bleibt das seltsam fern.

Das Publikum feierte sein Ensemble und schenkte sich diesmal eine wirklich erregte Auseinandersetzung zur Inszenierung. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.9.2005)