Flannery verführt Anne. Klingt banal. Tatsächlich verführt Flannery Anne auf gar nicht banale Weise: mit Sprache, genauer: mit einem Gedicht, das sie für sie schreibt.

Damit ist ein Akzent gesetzt, der insgesamt bestimmend ist für diesen schönen Liebesroman: nicht nur finden sich die beiden Frauen im Roman über die Literatur und über die Lust an Sprache, sondern der Roman selbst lässt die gleiche Lust an Sprache erkennen wie seine Figuren: Er ist in einer sehr poetischen, oft ironischen, immer treffenden, kurz: in einer unverwechselbaren Sprache geschrieben, die zum Lesen verführt.

Die intelligente und begabte siebzehnjährige Flannery hat gerade ihr Studium an der US-amerikanischen Ostküste aufgenommen und verliebt sich in die 28-jährige Literaturwissenschaftlerin Anne, Tutorin zur Vorlesung Literaturkritik, die von Flannery besucht wird. In einer betörenden Mischung aus Scheu, Schüchternheit, Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit gelingt es Flannery, die ihrer Ansicht nach unglaublich elegante und schöne, oft ironische, sogar harte Anne für sich zu interessieren – oder ist es umgekehrt? Denn Anne widerstrebt kein bisschen, sondern ist ihrerseits anscheinend fasziniert von der schlaksigen, begabten und so offensichtlich verliebten Flannery - wenngleich Anne diejenige ist, die sich immer wieder entzieht und am Ende schließlich ganz geht. Auch Anne verführt Flannery übrigens mit Gedichten, wenn auch nicht mit selbstverfaßten.

Teilung

Der Roman ist dreigeteilt: dem langsam entwickelten, psychologisch differenzierten, manchmal komischen und meist poetischen Beginn der Beziehung folgt eine relativ kurze glückliche Zeit voller Liebe, gemeinsamer Lektüren und natürlich hinreißender Erotik, und schließlich der Abstieg während einer scheußlichen Reise nach Florida. Anne hat eine Vorgeschichte, die sie wieder einholt ...

Eine erste Liebe also, eine große Liebe zwischen zwei Frauen – und doch ist "Geschrieben für Dich" weder ein Adoleszenzroman noch ein Coming Out-Roman. Alles ist im wesentlichen aus Flannerys Perspektive geschildert, einer angehenden Dichterin mit einer großen sprachlichen Begabung sowie einer ungewöhnlichen Fähigkeit zu Beobachtung und Reflektion. Flannery ist neugierig auf die Liebe, auf die Literatur und auf die Welt insgesamt. Sie liebt ganz und gar, sie ist völlig im Hier und Jetzt, sinnlich und leidenschaftlich, stolz und manchmal auch unglücklich – und zugleich wird sie angetrieben von dem Wunsch, das, was sie empfindet, auszudrücken, es zu reflektieren, es sprachlich realer zu machen und es auf diese Weise auch noch einmal anders zu genießen - und es nicht zuletzt für die Erinnerung vorzuformulieren. Denn irgendetwas in ihr ahnt, dass dieses Glück nicht von Dauer sein kann, so sehr sie es hofft.

Zuweilen glaubt man beim Lesen, durch die Perspektive der erlebenden jungen Flannery hindurch diejenige der älteren, erfahreneren Flannery zu spüren, und schließlich gibt es ja noch eine Erzählerin, deren Stimme wir auch von Zeit zu Zeit vernehmen: möglicherweise ist sie identisch mit der älteren Flannery... Diese subtile Vielschichtigkeit verleiht dem Roman einen besonderen Reiz, ohne ihn zu verkomplizieren. Alles in allem: ein poetischer, kluger, anrührender Roman über die Liebe.

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