Gerhard J. Rekel

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Der Standard: Was brachte Sie auf die Idee, einen Roman über Kaffee zu schreiben? Gerhard J. Rekel: Magenschmerzen. Von zu viel schlechtem Kaffee. Statt zum Arzt zu gehen, begann ich zu recherchieren, was Kaffee bewirkt - im Magen, im Kopf und in der Geschichte. Der Standard: In der Geschichte? Rekel: Ja, Kaffee ist eine Droge der Revolution. Der Standard: Wie kommen Sie darauf? Rekel: Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg, Französische Revolution oder Aufbegehren gegen Metternich - immer boomte kurz zuvor Kaffee und Kaffeehaus. Glauben Sie allen Ernstes, das waren Zufälle? Kaffee putscht auf! Der Standard: Glauben Sie wirklich, dass Kaffee einen politischen Effekt hat? Rekel: Ja. Auf mehreren Ebenen. Gestern und heute. Die Französische Revolution konnte nur stattfinden, weil die Menschen ein paar Jahre zuvor begonnen hatten, Kaffee zu trinken. Davor tranken sie nämlich nur Bier. Morgens, mittags, abends - denn das Trinkwasser war allzu oft verseucht. Was hat's bewirkt? Der Alkohol hat vor allem das Phlegma vermehrt und damit den Blick auf die alltägliche Unterdrückung vernebelt. Erst als Kaffee als bakterienfreies Heißgetränk allgemein erschwinglich wurde, begann das Aufbegehren: Kaffee war die Muttermilch der Französischen Revolution. Und wo haben die Reden von Robespierre und Danton stattgefunden? Natürlich im Kaffeehaus! Der Standard: Und heute? Rekel: Heute entscheidet jede Tasse über Leben oder Tod. Hochwertiger, fair gehandelter Kaffee ermöglicht es den Bauern in Südamerika, zu überleben und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Billigkaffee ist aber nicht nur qualitativ minder, er fördert auch das rabiate Preisdumping der Großkonzerne - und damit die schlimmste Seite der Globalisierung, nämlich die Verelendung. Der Standard: Was macht guten Kaffee aus? Rekel: Kaffee ist so edel wie Wein, er hat ebenso viele Aromastoffe, nämlich 800. Um ein Kilo Kaffee zu produzieren, muss ähnlich viel Arbeit und Liebe aufgewendet werden wie beim Wein. Aus gutem Grund wird der Kaffee in den arabischen Ländern deshalb "Wein des Orients" genannt. Der Standard: Kann jeder guten Kaffee machen? Was braucht man dafür? Rekel: Für guten Kaffee braucht man nicht nur hochwertige Bohnen, sondern auch eine exzellente Maschine, geübte Hände, der Mahlgrad muss stimmen, die Frische der Röstung. Es ist ähnlich wie beim Wein: Man muss über den Inhalt Bescheid wissen, um eine gute Tasse Kaffee in all ihren sensorischen Facetten genießen zu können. Der Standard: Welchen Kaffee trinken Sie zum Frühstück? Rekel: Keinen. Kaffee ist doch kein Nahrungsmittel. Kaffeetrinken ist ein Ritual, das man nicht en passant genießt, etwa beim hektischen Überfliegen der Morgenzeitung. Oder lesen Sie etwa Zeitung, wenn Sie mit einer Frau schlafen? Der Standard: Wann also? Rekel: Später: Für mich ist Espresso vor allem eine Ausrede. Eine Ausrede für eine Pause, eine Ausrede zum Nachdenken, eine Ausrede, Ihnen ein Interview zu geben. Der Standard: Und wie trinken Sie Ihren Espresso? Mit Milch und Zucker? Rekel: Um Gottes willen! Welche Beleidigung der Geschmackspapillen. Das ist, wie wenn Sie Champagner mit Wasser verdünnen. Schluderbrühe. Milch und Zucker ist was für kleine Kinder. Verhunzen Sie nicht 800 Aromastoffe, die sich in der zarten Crema befinden. Der Standard: Ist der entscheidende Stoff wirklich das Koffein? Rekel: Nein. Guter Kaffee ist ein Kunstwerk, eine Projektion von Glück. Das Koffein spielt bloß eine Sekundärrolle. Die TU Zürich hat das in einer Studie bewiesen: Man entzog starken Kaffeetrinkern für sechs Wochen ihr Lieblingsgetränk. Einer Gruppe gab man Koffeintabletten, der anderen koffeinfreien Kaffee. Erstaunlicherweise hatte die Gruppe mit den Koffeintabletten die weitaus stärkeren Entzugserscheinungen. Das bedeutet: Wir brauchen nicht das Koffein, sondern wir sehnen uns in Wirklichkeit nach dem Duft des Kaffees. Der Standard: Vermissen Sie diesen Duft nicht, als Wiener im Berliner Exil? Rekel: Seit ich in Berlin lebe, weiß ich die Wiener Kaffeehauskultur noch mehr zu schätzen. Kaffeehäuser mit einer großen Auswahl an Zeitungen, ohne Kaufhausgedudel, mit hohen Räumen und hochwertigem Kaffee. Aber die werden auch in Wien weniger. Zwei der schönsten, das Café Haag und das Café Brioni, wurden durch Pizza Hut bzw. eine Spielhöhle ersetzt. Ohne dass die Politik oder das Denkmalamt eingegriffen hätten. Das schmerzt. Ungefähr so wie schlechter Kaffee. (Der Standard/rondo/23/9/2005)