Gedenktafel in Wien 9., Ecke Fechtergasse und Liechtensteinstraße. 'In diesem Haus lebten Leo und Grete Fleischmann. Sie wurden im April 1942 deportiert. Aun siguen 'Desapaercidos' su familia Argentina.'

Foto: STANDARD/Cremer
... Am Dienstag wird in der Servitengasse eine Gedenktafel enthüllt. Vergangenheitsbewältigung ist selten einfach - zumal in Wien.

Wien - Die Servitengasse im neunten Wiener Gemeindebezirk liegt inmitten eines ehemals jüdisch geprägten Viertels. Das war vor 1938. Anfang 2003 erfuhren Bewohner des Hauses Servitengasse 6 von der Deportierung und Ermordung einer früheren Bewohnerin und starteten ein Projekt, das inzwischen weite Kreise gezogen hat. Gemeinsam mit Wissenschaftern recherchierten die Initiatorin Barbara Kintaert und ihre Nachbarn die Schicksale von 27 jüdischen Bewohnern des Hauses - die vertrieben, beraubt, delogiert und deportiert wurden.

Um an die Opfer zu erinnern, wird heute, Dienstag, um 18 Uhr eine Gedenktafel enthüllt. Und zwar mit Unterstützung der Bezirksvorsteherin Martina Malyar (SPÖ) auf öffentlichem Raum. Dass die Hausbesitzerin, deren Familie der NSDAP angehörte, nicht mit einer Anbringung am Haus einverstanden war, weist auf die Schwierigkeiten hin, die die Aufarbeitung des Holocaust manchen noch immer bereitet.

Enthüllung

Die Enthüllung wird der aus Kalifornien angereiste Paul Lichtman vornehmen, dessen Vater in der Servitengasse 6 ein Juwelier- und Uhrmachergeschäft betrieben hatte. Bis es in der "Reichskristallnacht" am 9. November 1938 zerstört wurde und die Familie aus der Wohnung im 20. Bezirk vertrieben wurde. Der damals 17-jährige Paul konnte zu einem Onkel in die USA fliehen, die Eltern schafften es nach Schanghai. "Es war eine tragische Zeit, aber es ist schön, dass ich lebe", sagt Lichtman.

Eine andere, ähnlich gelagerte, Geschichte wartet noch auf ihr würdiges Ende. Auch sie spielt im 9. Bezirk. Auch sie handelt von einem Hausbesitzer, der keine Gedenktafel anbringen lassen will. Und sie handelt von Efraim Levanon, geboren als Fritz Weisz in Wien 1923. Seine Eltern Armin und Grete hatten eine Mietwohnung in der Porzellangasse 49a. Nach dem "Anschluss" schickten sie Sohn Fritz nach Palästina in Sicherheit - seine Schwester nach England. Armin und Grete wurden in Ungarn interniert, später nach Polen verschleppt. Dort verliert sich ihre Spur.

Hausbesitzer dagegen

Anfang des Jahres, so erzählte Herr Levanon bei seinem Wienbesuch dieser Tage, sei er auf den Gedanken gekommen, eine Tafel für seine Eltern am Haus in der Porzellangasse anbringen zu lassen - 50 mal 50 Zentimeter groß. "Ich bin es irgendwie meinen Eltern schuldig, die Sache zu veröffentlichen", sagt Levanon. Tausend Euro hat er dafür gespart. Nur: Der Hausbesitzer ist dagegen.

Den Plan, vor dem Haus zu "demonstrieren", verwarf Herr Levanon wieder - er besuchte stattdessen die Bezirksvorsteherin. Und die versprach zu helfen. Sie habe die zuständige Magistratsabteilung ersucht, alle Möglichkeiten zu prüfen, sagt Martina Malyar. Kommt das Magistrat zu einer Lösung, so hofft Malyar, dass diese auch andernorts zum Einsatz kommen kann, denn: "Ich weiß, dass es sehr viele Nachkommen gibt, die ihrer Verwandten so gedenken wollen." An der Ecke Fechtergasse/Liechtensteinstraße existiert bereits eine derartige Tafel.

Warten auf Nachricht

Malyar wird auch in der Servitengasse bei der Enthüllung der Gedenktafel dabei sein. Herr Levanon wartet derweil in seiner Heimat Israel auf Nachricht. Einen kleinen Erfolg sieht er aber: "Wenn der Name meiner Eltern in der Zeitung steht, dann ist das auch eine Befriedigung."

Die Aufstellung der Gedenktafel in der Servitengasse ist nur der Auftakt zu einem umfassenden Erinnerungsprojekt im neunten Bezirk: Mit Subventionen aus dem Jubiläumsfonds der Nationalbank wird bis Herbst 2006 die jüdische Vergangenheit von insgesamt 23 Häusern und Geschäftslokalen in der gesamten Servitengasse untersucht.

Schneeballeffekt

Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit in Form einer Ausstellung und einer Publikation präsentiert werden, außerdem ist ein Gedenksymbol in der Servitengasse geplant. "Aus einer Schneeflocke ist ein Schneeball geworden", freut sich Barbara Kintaert über das Interesse anderer Bewohner und Bezirke. Derzeit sind rund 40 Personen an dem Projekt beteiligt. Aber: "Es ist ein Armutszeugnis, dass die vorige Generation es versäumt hat, die vorhandenen Dokumente anzuschauen." (DER STANDARD-Printausgabe, 20.09.2005)