Wien - Draußen, danach: balsamische Kühle, Dunkelheit und Ruhe. Sanft fallender Regen. Einatmen und durchatmen erstmal. Im Kopf: tausend bizarre, fantastische, groteske Bilder; einige wenige poetische im Herzen. Wie geht's? Geht so. Wie war's? Ging so. Nicht toll? Doch, doch, toll auf jeden Fall. Pointiert gestylt, crazy aufgemotzt: Le freak, c'est chic. Pimp my role.
Das Groupie-Grüppchen im ersten Akt etwa: die ekelige alte Oma, die ihre Perlenkette von unterwärts rausholt, der schwitzende Mann mit der vollgekackten Unterhose und die fette Lederlesbe, die alle ihr angebetetes Olympia-Püppchen begaffen.
Barrie Kosky, in Bälde scheidender Ko-Leiter des Schauspielhauses, hat für sein Haus erneut eine Oper neu erzählt: Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach. Kreativkopf Kosky kann so was: Das hat er etwa bewiesen, als er an Ort und Stelle Monteverdis Poppea bahn- und herzbrechend in Szene setzte, mit drei Celli und Sinatra-Songs. Auch Offenbachs Letztling hat der gebürtige Australier ziemlich umgekrempelt, also: auf seine inhaltlichen und musikalischen Grundmauern redimensioniert und auf diesen viel Neues dazugebaumeistert.
Poppig-drastisch
Imposant, bizarr, knallig ist Koskys musiktheatralisches Fantasieschloss geraten, ein bisschen wie ein von David LaChapelle und Terry Richardson redesigntes Neuschwanstein. Im Gegensatz zur poppig-drastischen Bilderwelt herrscht in jener der Klänge eine dämmrigere, mit staubiger Patina behaftete, menschlich-wärmere Stimmung vor. Oft lässt Kosky die Zeit fast stehen und plirrt nur ein paar leise Töne auf seinem verstimmten Bösendorfer; dann wieder wechselt das kleine Miniorchester zwischen Klezmer-Klagen, smoother Jazz-Coolness und wildem Revue-Tschakatschaka (Arrangements: Jörg Ulrich Krah).
Drei nicht unwesentliche "Leiders": Das Bild (Kostüme: Alfred Mayerhofer; Bühne und Licht: Michael Zerz) herrscht über die Musik, der bizarre Witz über die Poesie, das Ensemble über die Protagonisten. Ruth Brauer gelingen wundervolle Momente: Wie sie als Antonia, als Künstlerin, die keine sein darf, in ihrem Krankenbett ein letztes Mal singt, aufblüht, strahlt, dass das eigene Herz mitleuchten muss; oder wie sie als Revuegirl-Olympia mit federbebuschtem Popo Hoffmann hinter sich her lockt.
Jener bleibt die blasseste Figur der Produktion: Ramin Dustdar gibt ihn mit schablonenhafter Überintensität; zudem wird sein kraftvoll-männliches Gehabe von seiner geklonten, bubenhaft braven Musicalstimme Darstellungslügen gestraft. Im Gegensatz dazu bietet das Ensemble Zeugnisse unerhörter Wandlungsfähigkeit und Überzeugungskraft: Mit Martin Niedermair, Barbara Spitz und Martin Bermoser können daraus nur die Eindrücklichsten genannt werden.