Designfachfrau Uta Brandes

Foto: Der Standard
Für die einen aktueller Denkansatz, für die anderen Zufall des Alltags, zeigt dieser Bereich, wie sinnvoll das Nichtintendierte gestalten kann.

******

Der professionelle Entwurfsprozess kennt normalerweise ein Ziel, eine Aufgabe, die zu seinem Beginn festgelegt wird. Was aus dem Entwurf wird, liegt nicht zuletzt an den Möglichkeiten und Begrenzungen der Produktion, an der Begeisterungsfähigkeit des Auftraggebers und den Regeln und Zufällen des Marktzugangs. An die Stelle von Gestaltung, die Funktionen betont, tritt heute immer öfter eine Formensprache, die Reize ausstrahlen und Emotionen ansprechen will. Der Vorstellung, dass Designer und Produzenten mit ihren Absichten tatsächlich beim Nutzer durchdringen können, erteilt die Kölner Hochschullehrerin Uta Brandes eine deutliche Absage.

Die Professorin für Gender und Design betreibt seit Jahren an der Köln International School of Design ein Forschungsprojekt, das sich mit der ungeplanten, ja unplanbaren Seite des Gebrauchs von Objekten beschäftigt, dem Nicht Intentionalen Design (NID). Die promovierte Soziologin und Psychologin beobachtet dabei die tatsächliche Nutzung von Objekten, deren Umwandlung, Zweckentfremdung und Missbrauch. Ein frühes Beispiel war für sie die Teekanne von Gropius, die sie besitzt. Brandes stellte fest, dass niemand das Angebot des Designers, Kanne und Deckel mit nur einer Hand halten zu können, nutzte. Eigentlich sollten vier Finger den Henkel umschließen, während der Daumen "lässig auf dem abgeflachten horizontalen Steg des Deckels" ruht, der "den Mittelknubbel ersetzt hat".

Statt dieses Angebot des eleganten Gebrauchs zu nutzen...

... vollführen Nutzer, die zum ersten Mal mit der Gropius-Kanne operieren, die tollsten Übungen: "Sie klemmen oder verbrennen sich die Finger, benötigen mehr als zwei Hände zum Einschenken, ignorieren das Festhalten des Deckels vollkommen, wodurch dieser dann wirklich in die Tasse fällt." Oder sie nehmen - "die deprimierendste Handhabung, die ich sah" - den Deckel vor dem Einschenken ab und legen ihn beiseite. War es hier noch der Verstoß des Designers gegen die Konvention des Objektes, das den Nutzer dazu bringt, es "entgegen seiner Funktion, wiederum umzufunktionieren, um die bekannte, wenn auch umständlichere Handhabung zu gewährleisten", so handelt NID hauptsächlich von der Herstellung neuer Funktionen, durch Abwandlung des Gegebenen. Und ist daher keineswegs auf Designobjekte im engeren Sinn begrenzt, schon gar nicht auf eine herkömmliche Vorstellung von Multifunktionalität.

Gemeint ist generell die "alltägliche Umgestaltung des Gestalteten". Nicht Intentionales Design kann nur in Bereichen auftauchen, schreibt Brandes im Ausstellungskatalog "Anders als immer - zeitgenössisches Design und die Macht des Gewohnten", bei der es "gegen eine vorgegebene Intention verstößt beziehungsweise die vorgegebene in der Anwendung nicht einlöst." Es geht also um Alltagsobjekte, den Stuhl, den wir als Tisch nutzen und umgekehrt. Nicht intentional bedeutet also keineswegs sinnfrei. Stets geht es um eine konkrete, oftmals spontane Problemlösung, allerdings ohne eigenen Gestaltungswillen, der wiederum einen neuen Designgegenstand hervorbringen würde. Nicht Intentionales Design widersetzt sich der Normung. So überrascht kaum, dass NID die Umkehrung von DIN ist, der Abkürzung von "Deutsche Industrie Norm". Dazu Brandes: "In seiner gelungensten Normabweichung hat Design Gegenstände hervorgebracht, die in bester Absicht als kluge Stolpersteine angelegt waren. Etwas, das uns buchstäblich widersteht, entgegensteht." So ist der Begriff des Nicht Intentionalen Designs letztlich ein kritischer Begriff, der ein neues, erweitertes Verständnis von Alltagsgebrauch auch und gerade der professionellen Designer nach sich ziehen sollte.

Brandes präsentiert ihre Thesen auf internationalen Designkongressen und Lehrveranstaltungen im In- und Ausland. "Das Nichtintendierte dominiert die Intention", befindet denn auch Bernhard E. Bürdek in der neuesten Auflage seines Standardwerks zu Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, der dort NID als aktuellsten Methoden-Ansatz vorstellt. (Thomas Edelmann/Der Standard/rondo/09/09/2005)