Also gut, ich hab' mich breitschlagen lassen. Es ist wahr, dass ich von 1983 bis 1989 an verschiedenen Wiener Gymnasien unterrichtet habe. Ich leugne nichts, ich gebe es zu. Diese Durchgangsstation in meiner Erwerbsbiografie, meint die ALBUM-Redaktion, sollte mich befähigen, einen Artikel zu schreiben, und kaum habe ich mich's versehen, da habe ich auch schon 140 Zeilen zum Thema "Warum es super ist, Lehrer zu sein" auf's Auge gedrückt bekommen. Das leere Textgeviert auf dem Desktop schaut mich fordernd an, als wollte es mir sagen, dass ihm das Verfassen dieses Artikels schon viel zu lange dauert.

Oder sollte ich "Besinnungsaufsatz" statt "Artikel" schreiben? Nun gut denn, ich besinne mich. Und wenn ich mich recht besinne, war es wirklich super, Lehrer zu sein, meistens wenigstens. Nur manchmal war es nicht so super. Zum Beispiel als einmal ein dicker Herr unangemeldet in meine Unterrichtsstunde kam und in der letzten Sitzreihe sofort in ein erfrischendes Nickerchen verfiel (Schlaf-Apnoe ist ein klassisches Symptom bei Leute mit einem BMI über 35).

Viel kann er nicht mitbekommen haben. Das hielt den Herrn Inspektor aber nicht davon ab, mich anschließend in der Direktion auf eine Art und Weise zur Schnecke zu machen, auf die eine Watschen die einzig passende Reaktion gewesen wäre. Ich hätte einen milden Richter gefunden. Ich hätte meine Strafe abgebüßt und wäre heute ein freier Mann. Leider habe ich es nicht getan. Als junger Mensch ist man nicht immer so schlagfertig, wie man sein sollte.

Davon abgesehen war es aber super. Gut, finanziell eigentlich weniger, dafür aber sonst. Der Umstand, dass einem der Staat einen Inspektor in die Klasse nachschickt, zeigt zum Beispiel, dass ihm, dem Staat, etwas an der Qualität des Unterrichts liegt. Und an der Bildung überhaupt. Man wirkt an höheren Zielen mit. Man hilft bei der Standortsicherung, trägt zur Umwegrentabilität bei, heute hat das auch mit der Globalisierung zu tun, von der man damals noch nichts gehört hat, und die Pisa-Studie zeigt ja auch, dass wir super unterwegs sind. Aber man darf nicht schlafen.

In Singapur rechnen schon die Siebenjährigen wie die Einser, und die Zehnjährigen in Finnland rezitieren Shakespeare im Original. Hier gilt es, die österreichische Konkurrenzfähigkeit im internationalen Maßstab zu bewahren. Es ist schön, wenn man sagen kann, dass man bei diesem großen Werk als Lehrer dabei war.

Ich muss präzisieren. Natürlich war ich in diesen Jahren nicht nur als Lehrer tätig (im Sinne von: vor einer Klasse stehen, Wissen vermitteln), sondern auch als "Nachmittagsbetreuer", wie der Terminus technicus lautet. Wenn ich mich recht besinne, war ich sogar mehr als Nachmittagsbetreuer denn als Lehrer tätig. Dafür war ich zwar nicht ausgebildet, aber super war es trotzdem,wenn auch meistens ein wenig eng.

Die Infrastruktur der meisten Schulen war nämlich damals auf alles Mögliche ausgelegt, nur nicht auf Nachmittagsbetreuung. Man sitzt mit 25 hochgradig agitierten Elfjährigen einen ganzen Nachmittag lang in einem Klassenraum und ist im Wesentlichen mit fünf lustigen Brettspielen ausgestattet, um die Zeit optimal zu gestalten. Das Schöne ist, dass man dabei lernt, was Dichtestress bedeutet und wie man ihn managt.

Auch wenn das Management oft nicht klappt. Und einige Eltern glauben, in einem solchen Ambiente, von dem sie nicht einmal eine vage Vorstellung haben, sei es auch noch möglich, alle Erziehungsdefizite wettzumachen. Wie ich von meinen alten Lehrerkollegen höre, geht es heute nicht mehr so großzügig zu wie in den 80ern. Seit Jahren übertönt der große Spargesang fast alle anderen Geräusche in den Schulen. Ich habe einen Freund, der allein aus Zorn über diese galoppierende Ressourcenverknappung den Lehrberuf an den Nagel gehängt hat.

Lehrersein ist super: Ja, wenn man einen Sinn für die mythischen Qualitäten dieses Berufes hat, für den Austausch zwischen den Generationen, für die Freude, etwas weitergeben zu können. Und nicht nur das, sondern auch noch das Geschick, diese abstrakte Begeisterung in einer konkreten Lebenswirklichkeit zu realisieren, die alles andere als leicht zu bewältigen ist.

Ich glaube es war Freud, der gesagt hat, Pädagoge und Psychotherapeut seien unmögliche Berufe. Ich habe viele Lehrer kennen gelernt, die trotz widriger Umstände immer noch daran arbeiten, die Möglichkeiten ihres Berufes auszuloten und zu erweitern. Ihnen wünsche ich für das nächste Schuljahr alles Gute. (DER STANDARD/Album, Printausgabe, 27./28.8.2005)