Zur Person
Andre Gingrich ist Professor für Sozialanthropologie an der Uni Wien.

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Enger Kontakt: US-Präsident George W. Bush lud den damaligen Kronprinzen Abdullah im vergangenen April auf seine Ranch nach Texas ein.

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Standard: König Fahd war seit zehn Jahren schwer krank, sein Bruder führte ohnehin schon die Regierungsgeschäfte. Warum ist Fahds Tod ein so wichtiges politisches Ereignis?

Gingrich: Jede Amtsnachfolge in einer sehr zentralistisch geführten Monarchie ist eine heikle Situation. Doch die saudi-arabische Gesellschaft und die Monarchie stehen dazu noch in einem - sehr moderaten - Reformprozess, der wesentlich von Fahd initiiert und der von seinem Bruder fortgeführt worden war.

Standard: Saudi-Arabien wird nun oft als "belagerte Gesellschaft" beschrieben. Es gibt keine vorrevolutionäre Stimmung, aber doch eine dauernde Infragestellung des Königshauses.

Gingrich: Da ist etwas dran. Das hängt auch mit der historischen Herkunft der saudischen Gesellschaft zusammen, die ja aus einer Belagerungssituation entstanden ist, umzingelt von britischen und osmanischen Kolonialbestrebungen an den Rändern der arabischen Halbinsel. Gegen diese Versuche der Kolonialisierung haben sich aus dem Zentrum der Insel die Al Saud und die so genannte wahhabitische Bewegung erhoben.

An diesem damals revolutionären Anspruch der Wiederbelebung eines authentischen Islam im Widerstand gegen die westliche Belagerung werden die Eliten auch heute noch gemessen. Dazu aber auch an der Bewältigung der neuen ökonomischen Lage. Anders als zu Zeiten des Erdölbooms während der 70er-Jahre wird die Frage der Umverteilung des Reichtums heute viel schärfer gestellt.

Standard: Wie stabil ist das Königshaus heute?

Gingrich: Ich hatte Saudi-Arabien vor längerer Zeit wieder besucht und war doch sehr überrascht über die Schritte zum "nation building", die dort mittlerweile gesetzt wurden. Es gibt ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl als jemals zuvor. Die kritische Frage heute ist weniger, "was kommt nach Fahd?" als "was kommt nach Abdullah?". Abdullah ist auch nicht mehr der Jüngste, und danach steht eine neue Generation von Angehörigen des Königshauses zur Übernahme an. Bis Abdullah haben wir es mit den Söhnen des Staatsgründers Abdel-Aziz Bin Saud zu tun. Die haben eine wesentlich stärkere Loyalität zueinander und zur Idee ihres Vaters. Die Frage ist offen, ob das in der nächsten Generation so gegeben sein wird.

Standard: Wie fest sitzt Abdullah im Sattel?

Gingrich: Abdullah ist institutionell enorm gut abgesichert. Er hat seit Langem die Kontrolle über die Schlüsselstellen der Sicherheitsorgane im Land - das ist seine Hausmacht - und damit auch über zahlreiche ländliche Regionen. Es ist sicherlich eine Stabilisierung, die jetzt eintritt, und nicht eine Phase der Unsicherheit. Aber die Frage der Generationsablösung rückt eben nur näher heran.

Standard: Wie ernsthaft geht Saudi-Arabien mit der Al-Kaida im Land um?

Gingrich: Die saudischen Theologen führen einen aktiven Meinungsstreit um die Herzen und Gemüter, um die Frage, ob Gewalt gegen Nichtgläubige legitim ist. Ihre Antwort lautet: Das sind nicht nur keine guten Muslime, das sind Ketzer. Der Kampf gegen die Terroristen geht weiter, er wird vielleicht noch radikaler werden. Aber die Zeit arbeitet im Moment eher gegen sie.

Standard: Wie sehen die Saudis heute, nach 9/11 und der US-Intervention im Irak, ihr eigenes Land?

Gingrich: Es ist ambivalent. Die Einführung demokratischer Prozesse im Irak ist eine Tatsache, wie auch immer man zur militärischen Intervention der US-geführten Koalition stehen mag. Es strahlt aus, dass gewählt wird und dass Wahlen auch Konsequenzen haben. Den liberalen und reformorientierten Kräften in Saudi-Arabien gibt das Auftrieb. Aber es gibt natürlich auch die gegenläufige Tendenz der stillen Ablehnung, weil die verstärkte Präsenz westlicher Armeen so nahe an Saudi-Arabien zu Verunsicherung führt. Also insgesamt eine stärkere Polarisierung, würde ich meinen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2005)