Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war vergangene Woche. Da hat sich P. dann kurz so gefühlt, als wäre er gerade in Jonathan Safran Foers Roman „Everything is illuminated“ hineingestolpert. Nur hatte der Student das Buch nie gelesen. P.s Haustor und die Gassse rundherum hat er aber trotzdem abfotografiert. Für seine Großmutter.

P. wollte eigentlich einkaufen gehen als ihn der Student angesprochen hatte. Ob das hier wirklich die K-Gasse sei? P. hatte bejaht. Wo, setzte der Amerikaner fort, denn dann die Synagoge sei? Oder das Bethaus. Denn so lang, meinte er und schaute Richtung Wallensteinplatz, so lange sei die K-Gasse ja nun auch wieder nicht.

Keine Juden

P. war zunächst ein bisserl verwirrt gewesen. Schließlich wohnt er schon seit Jahren hier. Und in der kurzen Gasse habe er, sagte er dem jungen Mann – und meinte das ganz ohne Häme oder blöde Untertöne, noch nicht einmal einen orthodoxen Juden gesehen. Geschweige denn irgendeine jüdische Einrichtung. Aber weil der Amerikaner auch sein Haustor fotografieren wollte und sich für P.s Wohnhaus interessierte, bat er ihn auf einen Kaffee hinauf.

Der Student, erfuhr P. dann, lebt in Prag. Er studiert irgendwas mit Film. Oder wird im Herbst damit beginnen. Aber seine Großmutter, erzählte der Mann, habe als Kind in Wien gelebt. Hier, in der K-Gasse. Vermutlich – aber da war die alte Frau nicht mehr so sicher und deswegen fotografiere er sicherheitshalber alle alten Haustore ­ habe sie sogar in P.s Haus gelebt. An Stock oder Türnummer könne sie sich aber nicht erinnern. Andere Dinge – und er spräche, sagte der Student, da nicht von der Nummer im Oberarm - würden die Frau aber bis heute quälen.

Das Versprechen

In jedem Fall habe er seiner Großmutter versprochen, ihr aus jener Stadt, in die sie nie wieder zurückkehren wollte, Bilder zu schicken. Vielleicht , meinte der Amerikaner, würde ihr der Anblick der Stadt ohne Hakenkreuzfahnen und Hitlerjungen ja das Verzeihen leichter machen. Oder sie zumindest Ruhe finden lassen. Aber momentan, sagte der Amerikaner, habe er doch Zweifel daran, in der richtigen Gasse zu sein. Denn seine Großmutter hatte immer von einer Synagoge hier gesprochen.

P. rief mich an. Ich hatte einmal hier gewohnt. Und irgendwann, erinnerte sich P., hätte mein Vater doch etwas von einem Bethaus in der Gasse gesagt. Schließlich hatte ja auch mein Vater hier gelebt. Ein paar Gassen weiter. Und seine Geschichten über die Gegend um Augarten und Wallensteinplatz, erinnerte sich P. , hätten oft ähnlich geklungen.

Wo?

Ich sagte P., er solle einfach aus dem Fenster schauen. Da wäre die Synagoge (oder das Bethaus). P. schaute. Und fragte: Wo? Er sähe nur Häuser. Keines sei als „jüdisch“ erkennbar. Und soweit er sähe, sei auch nirgendwo eine Tafel angebracht. Ich musste lachen. Dann sagte ich P., wo er hinsehen solle. P. sagte, er verstehe. Dann legte er auf.

Am nächsten Tag erzählte P. mir die Geschichte von seinem Besucher. Und auch, dass sie gemeinsam beschlossen hätten, dass der Student seine Großmutter anlügen solle. In der Geschichte, die der junge Mann nach Hause mailen würde, ist das Bethaus einem Bombentreffer zum Opfer gefallen. Das sei gnädiger. Denn dass aus „ihrer“ Synagoge zuerst ein Tanzlokal und dann ein Supermarkt geworden ist, habe der Student gemeint, hätte der alten Frau das Herz nur noch einmal gebrochen.