Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: AP/Bayreuther Festspiele GMBH/Jochen Quast
Mit der zur Premiere anreisenden Politik haben Europas Sicherheitsfragen heuer auch Bayreuth erreicht. Erstmals in der Festspielgeschichte müssen sich die Herren beim Betreten der "Scheune" filzen lassen und die Damen Handtaschen öffnen. Als wäre die jahrelange Wartezeit, die durchzustehen ist, um an eine Festspielkarte zu kommen, nicht Sicherheitsmaßnahme genug.

Festivalintern herrschte allerdings auffällige Ruhe. Die traditionelle Pressekonferenz mit Chef Wolfgang Wagner wurde von einer den Journalisten überreichten Tragtasche voller Papier ersetzt. Auch sonst viel beredtes Schweigen: Tristan-Regisseur Christoph Marthaler äußert sich sowieso nicht, seine Bühnenbildnerin Anna Viebrock nur ein wenig.

Christoph Schlingensief, der an seinem Parsifal feilen kann, sagt auch wenig, und wenn überhaupt etwas, dann für den Festivalleiter kaum Blutdrucksteigerndes. Nur Isolde (Nina Stemme) stöhnt ein bisschen über den Probenaufwand - es scheint, als hätten sich die Festspiele eine Skandaldiät verordnet.

Gut für Placido Domingo. Rechtzeitig zur Festspielzeit hat der reife Tenor seine Tristan-Aufnahme fertig gestellt - in Interviews lässt er Bayreuth von seinem Traum wissen, einmal am grünen Hügel im mystischen Graben als Dirigent verschwinden zu dürfen. Gott sei Dank ist deutscher Wahlkampf: FDP-Chef Guido Westerwelle kann seine persönliche Nachtkritik der Tristan-Premiere öffentlich-rechtlich verbreiten.

Und Unions-Kandidatin Angela Merkel eröffnet im FAZ-Interview, dass ihr einst der Tristan von Heiner Müller besonders nahe gegangen sei. Besonders der 2. Akt. Falls sie von Marthaler ein Dacapo, ein abstraktes Nachtstück samt großen Liebesgesten erhofft hat, wird sie aus Enttäuschung ihr Wahlprogramm um den Plan ergänzen, etwas für die Gefühlswelt der Bürger zu tun, auf dass diese ihre Emotionen zeigen, ihre Träume verwirklichen.

Bei Marthaler herrscht ja steifes Gehabe, Verklemmung, die Figuren sind verkrampfte Etikettenwesen, die ihre Wünsche in ein Korsett von Rollenklischees pressen. Das Sprengen der Konventionen durch eine Amour fou bleibt ein unausgelebter Traum, die Wirklichkeit ist bieder.

Erschöpfte Frau

Das alles ist sehr präzise und fein durchorganisiert, und es lässt sich an Isolde exemplarisch festmachen. Die grandiose Nina Stemme ist zunächst eine wütende, vor Zorn erschöpfte Frau. Ihre Frustration materialisiert sich auf einem renovierungsbedürftigen Luxusdampfer trotzig im steten Umwerfen von Stühlen. Im zweiten Akt dann die Verwandlung: Da sieht man ein adrettes 50er-Jahre-Püppchen, das im Überschwang der Gefühle unentwegt Lichter ausknipst und in Brangäne (tadellos: Petra Lang) eine strenge Erzieherin hat.

Anschließend wird noch ein bisschen Händchen gehalten mit dem Geliebten, Tristan (Robert Dean Smith) legt den Kopf in ihren Schoß. Es sind dies die raren und letzten Momente von Intimität. Im dritten Akt ist der unmittelbare Gefühlsausdruck nur noch Tristans Domäne. Hier streift der Siechende alle Zurückhaltung ab, doch Isolde lässt ihn liegen und legt sich lieber in sein Bett, um zu träumen.

Als sie sich schließlich die Decke über den Kopf zieht, ist es kaum als Geste zu verstehen, mit der man in Richtung Liebesvereinigung im Tod wegschwebt. Die Verbindung bleibt eine unerfüllte Utopie, die man sich vom verscheidenden Objekt der Begierde nicht zerstören lassen will. Ein Bild von beklemmender Kälte. Marthaler lässt das Kammerspiel der Verklemmungen in einem sich stetig nach oben hin entwickelnden Einheitsbühnenbild (einmal eine Art Turnsaal, dann wieder Krankenlager) stattfinden.

Es wird so zum Raum der Erinnerungen, der verschmelzenden Zeit. Das reichlich kalte Ambiente wird noch durch ein Lichtspiel ergänzt. Leuchtstoffröhren sind zunächst sich unentwegt umgruppierende Sterne. Dann künden sie die Ankunft von Marke (souverän Kwangchul Youn) an, indem sie als riesiges "M" aufleuchten. Und schließlich flackern sie im Finale kurz auf, symbolisieren die Reste von Tristans Lebensenergie. Eine nicht abendfüllende Spielerei.

Zu hohes Tempo

Die Bühne ist hier als Kontrast zu den ekstatischen Vorgängen im Orchesterpart zu verstehen. Mit dem fiebrigen Auf und Ab der Klangwogen wäre dies auch gut zu bewerkstelligen. Leider verwechselt Dirigent Eiji Oue zu sehr Intensität mit Tempo. Er serviert eine kalte Klangwelt, als hätte er es eilig, irgendwohin zu kommen. Die Balance zwischen Beschleunigung und Innehalten gelingt erst im Finale.

Immerhin, den Sängern verhilft er zum Durchbruch. Man hört, dass Andreas Schmidt als clownesk-schrulliger Kurwenal Probleme mit der Partie hat. Aber dass Alexander Marco-Buhrmester (Melot), Clemens Bieber (junger Seemann), Arnold Bezuyen (Hirt) und Martin Snell (Steuermann) ihre Minirollen souverän meistern.

Oue, vom Publikum, im Gegensatz zu Marthaler, freundlich behandelt, wird dennoch in die Festspielgeschichte eingehen. Als eine Art Papstimitator. Er warf sich auf den Bühnenboden und küsste ihn zweimal. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 7. 2005)