Beirut - Nach elf Jahren Haft ist am Dienstag der ehemalige christliche Milizenführer Samir Geagea in Beirut freigelassen worden. Das libanesische Parlament hatte eine Amnestie für den 53-Jährigen beschlossen, der als einziger Warlord des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 wegen seiner Gegnerschaft zu Syrien noch im Gefängnis saß. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede rief er die christlichen und moslemischen Libanesen zur "nationalen Versöhnung" nach dem Ende der syrischen Militärpräsenz auf. Er sollte sichnoch im Lauf des Tages zu medizinischen Untersuchungen an einen nicht genannten Ort in Europa begeben.

Ohne Syrien beim Namen zu nennen, sagte Geagea, die Libanesen seien dem "großen Gefängnis" entkommen, "was mir ermöglicht hat, mein kleines Gefängnis zu verlassen". Geagea war wegen mehrerer Morde, darunter an dem früheren Ministerpräsidenten Rachid Karame, zu drei Mal lebenslanger Haft verurteilt worden. Er verbrachte die meiste Zeit seiner Haft in einer Einzelzelle im Keller des Beiruter Verteidigungsministeriums. "Das waren lange, dunkle, schwarze Jahre", sagte Geagea, der von Hunderten von Anhängern gefeiert wurde. In seiner nordlibanesischen Heimatstadt Becharre tanzten Menschen vor Freude in den Straßen, und es wurden Feuerwerkskörper abgeschossen.

Geagea war Kommandant der rechtsgerichteten "Forces libanaises" (FL) und hatte zeitweise mit Israel kollaboriert. 1995 war er wegen des Mordes an dem Christenführer Dany Chamoun und dessen Familie im Jahr 1990 zum Tod verurteilt worden. Die Strafe war in lebenslange Haft und Zwangsarbeit umgewandelt worden. 1978 hatte ein von Geagea angeführtes Kommando in Ehden im Nordlibanon ein Massaker unter pro-syrischen Maroniten angerichtet. Dabei wurde der Sohn des früheren Staatspräsidenten Suleiman Frangie und Ex-Minister Tony Frangie mit 35 Familienangehörigen und Mitarbeitern bestialisch ermordet.

Syrien hat unterdessen von der neuen libanesischen Regierung eine offizielle Entschuldigung für Verdächtigungen gefordert, wonach syrische Geheimdienste hinter der Ermordung des libanesischen Ex-Premiers Rafik Hariri am 14. Februar in Beirut stecken würden. Eine Entschuldigung würde zwar nicht ausreichen, wäre aber die "politische Grundvoraussetzung" für die Herstellung einer Gesprächsbasis, hieß es am Montag in einem Leitartikel des Zentralorgans der regierenden Baath-Partei, "Al-Baath", in Damaskus. Die "verletzten Gefühle der syrischen Bürger" ließen es nicht zu, "mit Politikern zu sprechen oder sie zu empfangen, die unser Volk und seine Führung beleidigt haben", schrieb das Parteiorgan.

Syrien, das seine Truppen Ende April nach 29 Jahren aus dem Libanon abgezogen hatte, hat den Güterverkehr über die gemeinsame Grenze fast völlig blockiert. Der neue libanesische Ministerpräsident Fouad Siniora, der von der antisyrischen Koalition unter Führung von Hariris Sohn Saad nominiert worden war, versicherte nach der Vorstellung seines Kabinetts, er wolle sich vorrangig um gute Beziehungen zu Syrien auf der Grundlage "gegenseitigen Respekts" bemühen und bald nach Damaskus reisen. Nach Angaben der syrischen Regierung wurden 37 Syrer im Libanon bei antisyrischen Ausschreitungen in den Wochen nach dem Hariri-Mord getötet, 280 syrische Arbeiter wurden demnach verletzt. (APA/AP/dpa)