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Im Osten Londons wurde der Doppelstockbus abtransportiert, in dem ein Attentäter am Donnerstag erfolglos einen Sprengsatz zündete.

Foto: AP
London ist auf der Flucht. Nach der zweiten Terrorwelle in der Millionenstadt greift eine fatale Erkenntnis um sich: Die Bomben werden zur dauernden Gefahr und Londons Bewohner zur leichten Beute wie Fische in einem Aquarium.

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"Noch nie in meinem Leben habe ich gesehen, wie sich Menschen so schnell bewegt haben. Alle waren ruhig, es war völlig still. Aber auf den Gesichtern stand der Ausdruck der Panik", berichtete eine Augenzeugin. Sie floh am Donnerstag vom U-Bahnhof Leicester Square.

5,4 Millionen Fahrgäste steigen jeden Tag im Großraum London in einen Bus, drei Millionen nehmen die "Tube", sieben Millionen sind zu Fuß unterwegs. Wir sind eine offene Stadt, sagt Ken Livingstone, der Bürgermeister. Wie soll man da einen Selbstmordattentäter am Zutritt zur U-Bahn hindern?

Technische Geräte sollten installiert werden, die Passagiere mit Sprengsätzen aufspüren, forderte am Freitag der Direktor der Londoner Handelskammer. "Wir würden keine Einwände erheben, wenn die Polizei mehr Gebrauch von ihrem Recht macht, Leute aufzuhalten und zu durchsuchen, die große Taschen oder Rucksäcke tragen", hieß es in der Erklärung von Tony Sarin, der sich natürlich Sorgen um das Geschäft in der Finanzmetropole macht.

Alles röntgen

Längst hat die Stadtverwaltung radikale Schritte zur Sicherung der "Tube" studiert und dabei wohl die Erfahrung mit den Anschlägen der 80er-Jahre berücksichtigt. Die einzige Technologie, die derzeit zu Verfügung stünde, so erklärte Ken Livingstone, seien eben Röntgenmaschinen wie auf den Flughäfen. Völlig unpraktikabel, meinte der Bürgermeister, als er nach den neuen Anschlägen zusammen mit dem Polizeichef auftrat.

Täglich drei Millionen Passagiere zu überprüfen, ihnen die Mäntel abzunehmen, die Taschen zu leeren, alles durch die Maschinen zu stecken würde "die Pendlerfahrt jedes Einzelnen von uns völlig verändern". 15 bis 30 Minuten länger dauerte dann jede Fahrt nach London und wieder hinaus, so kalkulierte Livingstone. Und selbst wenn die Bürger dies akzeptierten, gibt es ein Problem: Etwa 15 U-Bahn-Stationen sind so eng, dass nicht einmal Platz für den Kasten der U-Bahn-Zeitung sei, erklärte Livingstone. "Es kann sehr wohl sein, dass eine ausgereiftere und kleinere Technologie kommt, aber wir haben sie jetzt nicht."

Dafür plagen sich die Bediensteten der öffentlichen Transporte in London seit den ersten Anschlägen vom 7. Juli mit täglich 250 herrenlosen Gepäckstücken. Hunderte Male wurde seither deshalb Sicherheitsalarm gegeben. Weil die Videokameras wohl wertvolle Hinweise zur Identifizierung von Attentätern liefern – aber eben nur nach der Tat –, lässt die Londoner Polizei schon seit einem Jahr mehr als 1000 Beamte in Zivil durch die U-Bahn-Züge gehen.

Neue Vollmacht

Jetzt fordert sie mehr Vollmachten, um Terrorverdächtige im Vorfeld festzunehmen. Eine massive Ausdehnung der Haft ohne Anklage von derzeit 14 auf 90 Tage verlangt die Polizeiführung unter anderem von der Regierung. Die Geheimhaltung von Verschlüsselungscodes, wie sie im islamistischen Milieu verwendet werden, gegenüber der Polizei soll ein Strafbestand werden. (Markus BernathDER STANDARD, Printausgabe, 23./24.7.2005)