Berlin - Führende Verfassungsrechtler sehen die Entscheidung des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler für die Auflösung des Bundestags im Einklang mit Grundgesetz und dem früheren Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage. Köhler hatte seine Entscheidung am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache verkündet. Zur Begründung verwies er auf die schwierige Lage Deutschlands, die eine handlungsfähige Regierung mit stabiler Mehrheit erfordere. Er akzeptierte die Aussage von Bundeskanzler Gerhard Schröder, diese stabile Mehrheit sei nicht mehr gegeben.

Die Abgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) bekräftigten anschließend ihre Klageabsicht gegen die Auflösung des Parlaments, die sie als nicht verfassungskonform bezeichneten. Nachfolgend die Einschätzungen von Verfassungsexperten:

Hans Herbert von Arnim, Verwaltungshochschule Speyer:

"Ich habe keine andere Entscheidung erwartet. Der Bundespräsident konnte gar nicht anders. Er ist an die Beurteilung der tatsächlichen Lage durch den Bundeskanzler gebunden, es sei denn diese ist eindeutig falsch. So hat es das Bundesverfassungsgericht 1983 vorgegeben. Diese eindeutig falsche Entscheidung hat Köhler nicht gesehen.

Es kann auch nicht bestritten werden, dass es ein großer Schaden für Deutschland wäre, keine Neuwahlen anzuberaumen. Der Bundespräsident hat ja auch die Pflicht, Schaden vom Land abzuwenden. Das Verfassungsgericht wird seine Entscheidung bestätigen. Denn es hat Bundeskanzler und Bundespräsident einen weiten Entscheidungsspielraum eingeräumt, außer deren Entscheidungen sind völlig falsch."

Peter Huber, Ludwig-Maximilians-Universität München:

"Es war das, was man erwarten konnte. Die Entscheidung orientiert sich stark an die Vorgaben des Bundesverfassungsgericht von 1983. Die Begründung des Bundespräsidenten ist geradezu schulmäßig aufgebaut und ist verfassungsrechtlich wie politisch nicht zu beanstanden. Das Vorhandensein einer Krise ist auch ein wichtiger Gesichtspunkt. Wenn Köhler meint, dass eine entscheidungsfähige neue Bundesregierung damit besser zurecht kommt, dann ist das nicht zu beanstanden.

Auch das Bundesverfassungsgericht dürfte sich nicht gegen diese Beurteilung stellen, denn es hat keinen politischen Spielraum. Es ist wie der Bundespräsident auch, an die Erwägungen des Bundeskanzlers gebunden, solange einer anderen Beurteilung nicht eindeutig den Vorzug zu geben wäre. Das ist hier nicht der Fall." (APA/Reuters)