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Bundespräsident Köhler löste den Bundestag auf

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Berlin - Nach zwei Monaten der Ungewissheit hat der deutsche Bundespräsident Horst Köhler den Bundestag aufgelöst und die Neuwahl des deutschen Parlaments für 18. September angeordnet. Einen Tag vor Ablauf der gesetzlichen Frist gab er seine Entscheidung am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache bekannt. "Es ist richtig, dass in der heutigen Situation der demokratische Souverän - das Volk - über die künftige Politik unseres Landes entscheiden kann", sagte er.

Wahlkampf eröffnet

Alle Bundestagsparteien sowie Arbeitgeber und Gewerkschaften begrüßten die Entscheidung. Der Wahlkampf, für den die Vorbereitungen bereits seit Wochen laufen, ist damit endgültig eröffnet. Das letzte Wort wird aber das Bundesverfassungsgericht haben: Zwei Bundestagsabgeordnete und mehrere kleinere Parteien haben Klagen angekündigt. Die Karlsruher Richter werden darüber voraussichtlich nicht vor Ende August entscheiden. Einer am Abend veröffentlichten Umfrage zufolge nannten 78 Prozent der Deutschen die Neuwahl richtig, nur 15 Prozent sprachen sich dagegen aus.

Wohl des Volkes"

"In meiner Gesamtabwägung komme ich zu dem Ergebnis, dass dem Wohl unseres Volkes mit einer Neuwahl jetzt am besten gedient ist", sagte der Bundespräsident in seiner Ansprache. Er erkannte die Begründung von Bundeskanzler Gerhard Schröder für die Vertrauensfrage an. Schröder hatte erklärt, dass er sich nicht mehr auf eine stetige Mehrheit im Bundestag stützen könne. Köhler betonte, in der derzeitigen "ernsten Situation" brauche Deutschland eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen könne.

Vorgehen "verfassungskonform"

Der Bundespräsident hatte darüber zu entscheiden, ob das Vorgehen des Kanzlers bei der Vertrauensfrage am 1. Juli verfassungskonform war. Schröder hatte sich unmittelbar nach der Niederlage der SPD bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai für eine Neuwahl ausgesprochen. Bei der Vertrauensabstimmung hatten sich 148 der 304 Koalitionsabgeordneten enthalten und damit das von ihm angestrebte Verfahren zur Auflösung des Bundestags eingeleitet.

Schröder sagte, es gebe eine "überwältigende Unterstützung" in der Gesellschaft für eine Neuwahl. Er werde erneut als Spitzenkandidat der SPD antreten in der Gewissheit, dass die eingeleiteten Reformen "richtig und notwendig" seien.

Zustimmende Reaktionen

Die Grünen bezeichneten Köhlers Entscheidung als "nachvollziehbar und vernünftig". Auch CDU und CSU begrüßten den Schritt. Köhler habe den Weg für einen Neuanfang für Deutschland freigemacht, und die Union werde dies nutzen, sagte CDU/CSU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel.

Kritik von Verfassungsrechtler

Während die meisten Experten die Entscheidung Köhlers als verfassungskonform werteten, sieht der Verfassungsrechtler Wolf-Rüdiger Schenke große Chancen, dass die Karlsruher Richter den Neuwahlbeschluss aufheben werden. "Wenn man die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht 1983 aufgestellt hat, zugrunde legt, dann müsste die Klage Erfolg haben", sagte Schenke. Er vertritt die Klage des Grün-Abgeordneten Werner Schulz vor dem Bundesverfassungsgericht. Schenke verwies darauf, dass Schröder seit seinem Amtsantritt 1998 immer die Parlamentsmehrheit hinter sich hatte und noch am Tag vor der verlorenen Vertrauensabstimmung 40 Gesetze von der rot-grünen Regierungskoalition verabschiedet wurden.

Knapper Wahlausgang

Der Wahlausgang dürfte einer aktuellen Umfrage von Infratest-Dimap und ARD zufolge knapper ausfallen als erwartet. Erstmals seit Beginn der Neuwahldiskussion verloren die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP die absolute Mehrheit und kamen auf 49 Prozent. SPD, Grüne und Linkspartei können demnach mit 48 Prozent der Stimmen rechnen, wobei das Linksbündnis um einen Prozentpunkt auf zwölf Prozent zulegte. Union (42 Prozent), SPD (27 Prozent) und Grüne (neun Prozent) blieben im Vergleich zur Vorwoche unverändert. Die FDP verlor einen Prozentpunkt auf sieben Prozent. (APA/AP/dpa)