Ein Meister der Kontemplation: der Multiinstrumentalist Stephan Micus.

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Wien - Wie ein Strudelteig zieht sich das Jazzfest Wien dieses Jahr über den gesamten Monat Juli hin. In den letzten Tagen fungierte die Kunsthalle im Museumsquartier als Einkehrstation, jener Ort, an dem zurzeit Nikolaus Gansterers Papierschnitzelungetüm "Kunstgespinst" (Ausstellung Lebt und arbeitet in Wien II) unter einem raumhohen Metallgerüst hervorlugt. Die Halle ist daher leider ein mäßig einladender Schlauch.

Das Trio von Pianist Tord Gustavsen, in den norwegischen Pop-Charts (!) bis auf Platz sieben vorgestoßen, ließ einem hier mit bis zur Trivialität breitgewalzten Keith-Jarrett-Phrasen die Augenlider schwer werden. Bei Piers Faccini, dem jungen britischen Songwriter-Sensibling, ergaben Bob-Dylan-Folk, Rock-und Blues-Einflüsse nur momentweise mehr als die Summe ihrer Teile.

Klanghandschrift

Ein alter Recke zeigte vor, was es bedeutete, über eine originäre Klanghandschrift zu verfügen: Mit Stephan Micus gastierte einer jener heute schon fast anachronistisch wirkenden Utopisten in Wien, die in den 70er- und 80er-Jahren den Traum der einen Musik träumten, einer musikalischen Meta-Ebene, auf der die Traditionen aller Kulturen miteinander kompatibel wären - als Abbild "meiner Vision der Erde als Ganzes anstatt eines Puzzles aus konkurrierenden, verfeindenden Teilen", wie Micus im Booklet seiner aktuellen CD Life (ECM/ Lotus) rekapituliert.

Das Wörtchen "Weltmusik" galt damals noch nicht als als Synonym für identitätslosen, oberflächlichen Exotismus; Micus beugte einschlägigen Verdachtsmomenten durch Studienaufenthalte auf der ganzen Welt vor. Ein Arsenal an Musikgerätschaften hat der aus Bayern stammende Multiinstrumentalist zusammengetragen, um ihre Klänge Teil seines grenzenlosen Klangkosmos werden zu lassen.

"Authentizität"

Ohne Anspruch auf "Authentizität", allerdings auch ohne dies als Persilschein für musiktouristische Unverbindlichkeit zu deuten. Auf der ostafrikanischen Kalimba erzeugt er flirrende Obertongewebe, die er durch schüttelnde Bewegung mit einem andeutungshaften Dub-Effekt versieht; der armenischen Bassduduk entlockt er merkwürdig knorrige, "menschelnde" Klangbänder, der ägyptischen Ney hingegen expressiv aufgeladene Melodiebögen.

Und schließlich setzt Micus mit seiner eindrucksvollen Stimme, solo oder mit Steeldrum-Begleitung, im Gestus seiner Instrumente fort, mit meisterhaften Psalmodien, gleich einem Priester eines unbekannten Tempels. Micus ist ein Meister der Kontemplation, der seine getragenen, weit gespannten Melodien freilich niemals in Richtung esoterischer Trivialität abdriften lässt, sondern sein Sinnieren in Klängen mit durchaus auch substanzvoller emotionaler Epik verknüpft. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2005)