Berlin - Unmittelbar vor Ablauf der Frist ist unter Juristen strittig, bis zu welchem Zeitpunkt der deutsche Bundespräsident Horst Köhler seine Entscheidung über eine mögliche Auflösung des Bundestages bekannt geben muss. "Die Berechnung der Frist nach Artikel 68 Absatz 1 des Grundgesetzes ist Sache des Bundespräsidenten", sagte am Donnerstag in Berlin eine Sprecherin des Innenministeriums, das zugleich das Verfassungsministerium ist.

Artikel 68 gibt dem Bundespräsidenten 21 Tage Zeit, um nach einer verlorenen Vertrauensfrage über das Begehren von Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einer vorzeitigen Auflösung des Bundestages zu entscheiden. Diese Frist endet am morgigen Freitag, wobei allerdings der genaue Zeitpunkt unklar ist.

22. Juli, 12.12 Uhr

Zahlreiche Juristen vertreten die Auffassung, dass der sicherste Weg wäre, vom Zeitpunkt der Vertrauensfrage an zu zählen. Das Abstimmungsergebnis über die von Schröder gestellte Vertrauensfrage wurde am 1. Juli um 12.12 Uhr bekannt gegeben. Nach dieser Rechtsmeinung müsste Bundespräsident Köhler seine Entscheidung bis spätestens am 22. Juli, 12.12 Uhr, kundtun.

Andere Verfassungsjuristen sind allerdings der Auffassung, dass es bei der Berechnung nicht auf Stunden und Minuten ankommt, sondern die Frist am Ende des letzten Tages endet. Das wäre Freitag um 24.00 Uhr. Diese Frist entspräche den Gepflogenheiten im normalen Rechtsleben. Unklar ist aber, ob dies auch für einen Verfassungsartikel gilt. Eine Rechtsprechung zu diesem seltenen Fall gibt es nicht.

Als Bundespräsident Karl Carstens 1983 nach dem Begehren von Bundeskanzler Helmut Kohl den Bundestag auflöste, hielt er sich an die sichere Variante. Das Ergebnis der verlorenen Vertrauensfrage wurde am 17. Dezember 1982 gegen 13.00 Uhr bekannt gegeben. Die Entscheidung Carstens wurde 21 Tage danach, am 7. Jänner 1983, um 9.58 Uhr zugestellt. (APA/dpa)