Grafik des viermoduligen Fördersystems von netznetz.net

Grafik: netznetz.net

"Unbürokratisch, transparent, demokratisch." So charakterisiert Kulturstadtrat Mailath-Pokorny das jüngst präsentierte partizipatorische Modell der Fördermittelvergabe im Bereich Netzkultur. Nach Jahren des spürbaren Mangels in der Wiener Szene soll 2006 ein "angemessesenes" Instrument der Subventionsvergabe starten, die Mittel von 300.000 auf 500.000 Euro aufgestockt werden.

Steile Karriere einer Idee…

Entwickelt haben es die Förderaspiranten gleich selbst: Eine Idee, im März auf der Plattform netznetz.net veröffentlicht, machte steile Karriere: Das Projekt rief drei interessierte SP-Gemeinderäte (Sybille Straubinger, Jürgen Wutzlhofer, Andreas Schieder) auf den Plan und bereits vier Arbeissitzungen und zwei Monate später hatte das Projekt, mit dem sich Wien auf völliges Neuland begibt, den Sanktus des Stadtrates. Der Kulturausschuss wurde damit bis heute nicht behelligt, erfuhr der STANDARD. Formal gesehen muss die SPÖ das – dank der Gemeinderatsmehrheit – auch nicht. "Besonders klug", so Kulturausschussmitglied Andreas Salcher (ÖVP) sei es allerdings nicht, "in so einem sensiblen Bereich einfach drüberzufahren". Der Kulturstadtrat will aber weiter Gas geben: "So rasch wie möglich", solle das System in Kraft treten und weit über Wien hinaus Modellcharakter entwickeln, wünscht sich Mailath-Pokorny bei der Präsentation.

Die eine Hälfte der Subventionen ist für "Neue(s) und Kleine(s)", Hardware, Infrastruktur und Repräsentation gedacht. Im Zentrum des viermoduligen Systems stehen aber die "Network Grants". Über die Verteilung der dort ausgeschütteten 250.000 Euro entscheidet die Szene selbst. Der Schlüssel ergibt sich durch ein software-gestütztes Ranking-System, in dem sich die Netzkulturinitiativen gegenseitig bewerten. Den so ermittelten ersten 15-20 ist eine Förderung fix. Eine Vielzahl dynamischer Parameter soll bei der Bewertung Objektivität herstellen können, beteuern die Entwickler.

…und die Skepsis der davon Betroffenen

Hier setzt auch die größte Skepsis von Politik und verschiedener Vertreter der so genannten Szene an. So sehr man das Plus im Fördertopf honoriert (die Grünen legen die Latte aber auf eine Million), das Voting-System könne "leicht zu 'Kannibalismus' innerhalb der Gruppe führen, bemerkt dazu die Grünen-Kultursprecherin Marie Ringler.

In die gleiche Richtung zielt auch die Kritik der Künstlergruppe machfeld.net (International Arts and Culture Society). Mahnend erinnern sie an die Manipulierbarkeit von Votingsystemen. Auch die Gruppe der Stimmberechtigten erscheint ihnen, wie auch dem konsortium.Netz.kultur (einem bundesweiten Netzkultur-Knoten) zu diffus. Offiziell ist es "jeder, der in Wien auch einen Förderantrag stellen könnte". Von mehreren Seiten wird befürchtet, dass das Fördermodell nicht mehr konkret MedienkünstlerInnen anspricht, sondern sich der Förderkreis erheblich erweitert und somit keine Aufstockung – sondern im Gegenteil eine Verknappung – der Mittel bedeuten würde. "Wir sind sehr überrascht, dass in Wien Medienkunst durch Vernetzungskultur ersetzt wurde," wundert sich machfeld.net.

Über konkrete Projekte wird in dem "Spiel", in dem sowohl die Intransparenz der Mitspieler als auch der Kriterien kritisisiert wird, ohnehin nicht entschieden. Um Data-Mining zu verhindern, könnten die Bewerber auch "einfach nur als Initiative mit webadresse und Kontakt gelistet sein", heißt es im Projektpapier. In Teilen der Szene reagiert man darauf mit einer Mischung aus Wut und Belustigung. Viele stellen sich die Frage, ob die Bewertung nach Image und Namen, dazu führe, dass die hochwertigste Netzkunst jene ist, die am meisten "Remmi-Demmi" macht.

Schiffe versenken oder…

ÖVP-Kultursprecher Andreas Salcher äußert gegenüber dem STANDARD auch Bedenken, ob die von ihm angestrebte Objektivierbarkeit der Vergabe, wo nicht mehr "90% der Gelder an die Netbase fließen", mit "so einer Art Schifferl-Versenken-Modell" beizukommen ist. Ihm schwebt (einen entsprechenden Antrag brachte er im Jänner ein) die Gründung einer unabhängigen Jury im Bereich Neue Medien vor.

Eines dieser "Schifferln", das droht versenkt zu werden, ist die Netbase. Die Netzkultur-Institution, die zuletzt mit 218.000 Euro gefördert wurde, bemängelt an der neuen Initiative, die sich den Leitspruch "Kolloboration statt Institution" auf die Fahnen heftet, das gänzliche Fehlen kulturpolitischer Leitlinien: "Technik rein. Politik raus," so Geschäftsführer Martin Wassermair.

Netbase-Leiter Konrad Becker befürchtet, dass die derart schnell durchgezogene "Revolution der Kulturförderung" mittelfristig auch auf die anderen Kunstsparten ausgedehnt werde. Man ortet ein böses Spiel mit dem Nachwuchs, der in seiner Naivität die Hoffnung habe, "komplexe gesellschaftliche Vorgänge auf Rechenoperationen herunterschrauben zu können."

…Strukturen stabilisieren

Die von der Stadt angestrebten, weit über Wien hinausreichenden Impulse, sind laut netbase nur über die Stabilisierung von Strukturen und das zum Florieren bringen der Szene möglich. Konkret heißt das: Eine Fördersumme von etwa 1% des Gesamtkulturbudgets (ca. 1,5 Millionen Euro), ein eigenes Ressort und ein Fachbeirat.

Aber die Verantwortlichen sagen dezidiert "Ja, zum Gießkannenprinzip" und damit auch zu durchwegs kleinen Fördersummen. "Langfristige Perspektiven und die Teilnahme an internationalen Projekten werde dadurch unmöglich," kritisiert das konsortium.Netz.kultur. Für internationale und qualitativ hochwertige Projekte sind größere Summen und langfristigere Zusagen notwendig. "Die netbase – und damit ein sehr professioneller Status -wird dadurch rausgekickt", erklärt ein langjähriger, aber lieber anonym bleibender Kenner der Szene. "Es kann doch nicht sein, dass man bisher geleistete Arbeit zunichte macht, um Neue Kleine hereinzulassen", empört er sich. Die Stadt müsse sich nun gegenüber der Netbase deklarieren, rät er.

Indessen geht die "ehrenamtliche" Arbeit für das Entwicklungsteam weiter, der Herbst soll für das Feintuning am Projekt genutzt werden. In der ersten Augusthälfte findet zu diesem Zweck ein offener "Sprint" (5-tägige Klausur) statt. Geld gibt es für das Open-source-Projekt, zu dem verschiedene Personen Software-Module beisteuern, keines, erklärt Thomas Thurner, Mitglied von netznetz.net. Geplant ist aber, alsbald um eine Extra-Förderung bei der Stadt anzusuchen. (Anne Katrin Feßler, Langfassung eines Berichts in DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.7.2005)