Róisín Murphy, Stimme der britischen Dancefloor- Stars Moloko, präsentiert beim Jazzfest in Wiesen ihr exzentrisches Solodebüt "Ruby Blue".

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Wien - Mit der Frage, warum ihr eigentlich der Ruf vorauseile, dass sie eine tendenziell ungemütliche Interviewpartnerin sei, eröffnet man das Gespräch mit Róisín Murphy. Erstens will man Fehler und Themen, die schlechte Laune verursachen könnten, ja vermeiden. Zweitens entfährt Murphy noch während dieser Frage plötzlich ein unwirsches "What?!", als eine Hotelangestellte in den Interviewraum kommt - und diesen, derart auf sein Besetztsein hingewiesen, sogleich wieder verlässt. Fluchtartig wieder verlässt.

Murphy errötet zart, entschuldigt sich für die Unterbrechung, für die sie nichts kann, und meint: "Es ist vorgekommen, dass ich Interviews für beendet erklären musste, wenn die Fragen zu privat oder zu dumm wurden. Ich sitze hier als Profi und erwarte dasselbe von den Leuten, die mich befragen."

Dermaßen in Schwung gebracht, dreht sie den Spieß auch gleich um und will wissen, wie man denn ihr Album, das eben erschienene Ruby Blue, so finde. Auf die Entgegnung, es sei ungewöhnlich und überraschend, bewegen sich ihre Mundwinkel nach oben, sie sagt "Good" - und lehnt sich entspannt zurück.

Dass es überraschend klingt, ist allerdings nicht wirklich überraschend. Immerhin zeichnet mit Matthew Herbert ein bekannter Exzentriker für die Produktion verantwortlich, der in der Vergangenheit schon Alben wie Bodily Functions veröffentlicht hat, deren Samplequellen allesamt von menschlichen Körpergeräuschen stammten.

Auch für das Solodebüt der Sängerin der britischen Dancefloor-Kaiser Moloko, erzählt Murphy, musste sie "Zeug ins Studio schleppen". Alltagsgeräte, deren Geräusche Herbert beim Zu-Boden-Fallen dann aufnahm und sie entscheiden ließ, welche Sounds ihr am besten gefallen hätten. Aus diesen kreierte der Brite schließlich die Tracks für die Sängerin.

Murphy: "Am Anfang war dieses Techno-Voodoo natürlich seltsam. Aber es bedeutete auch eine sehr originäre Herangehensweise an ein Album, von dem ich nur sehr vage Vorstellungen hatte, in welche Richtung es gehen sollte. Durch Herberts Vorgaben änderten sich meine Arbeitsgewohnheiten. Das war gut, schließlich wollte ich auf keinen Fall, dass meine erste Soloplatte nach Moloko klingt."

Hits und Megahits

Moloko, jene Formation aus Sheffield, mit der Murphy 1995 debütierte, fusionierte intelligent zeitgenössische Elektronik im großzügigen Einzugsgebiet von TripHop und kreuzte sie mit Elementen aus Pop und Funk. Diese Erfolgsformel mündete in Hits wie Fun For Me oder Megahits wie Sing It Back. Zudem erarbeitete sich Moloko eine Reputation als Liveband erster Güte. Doch Moloko ist zurzeit kein Thema. Zwischen Murphy und ihrem Moloko-Partner und Exfreund Mark Brydon herrscht Funkstille. Böses Blut gibt es nicht, Zukunftspläne auch nicht. Ihre Soloarbeit hat momentan Priorität.

Murphy: "Es ist natürlich ein Schritt ins Ungewisse, wenn man aus einem gut funktionierenden Gefüge heraustritt und etwas Neues macht." Andererseits sei es nach zehn Jahren Zeit geworden, einmal etwas anderes auszuprobieren.

Ob sie Matthew Herbert denn Bedingungen oder Vorgaben gegeben hätte, will man wissen. Murphy: "Nein, aber Herbert wusste, dass ich eine leidenschaftliche Tänzerin bin. Eigentlich bin ich ja eine singende Tänzerin und keine tanzende Sängerin. Also war ihm wohl bewusst, dass die Musik tanzbar sein sollte. Außerdem ist er ja auch House-Produzent. Also musste ich ihm das nicht extra sagen", grinst die rothaarige Irin.

Tanzbar ist Ruby Blue in der Tat. Zumindest wenn man die erste Nummer ausblendet und den David-Byrne-Tanzgrundkurs für Gelenksakrobaten besucht hat. Doch schon mit Sinking Feeling, dem zweiten Stück, entpuppen sich die seltsamen Rhythmen als linkischer Techno-Jazz, der mit seinem originären Drive die Erscheinung des Albums ebenso prägt wie die coolen Bläser oder die immer wieder überraschenden unerhörten Sounds aus dem von Herbert erzeugten Klanguniversum.

Stück um Stück multipliziert sich der verführerische Groove und macht Ruby Blue zu einem wunder- und seltsamen Meisterwerk: Aus den vermeintlichen Störgeräuschen tritt langsam die originäre Schönheit des Albums hervor.

"Es ist wie bei der Musik von Sonic Youth!", begeistert sich Murphy und fährt fort: "Dort muss sich die Melodie auch erst gegen den Lärm durchsetzen. Ich liebe diese Band! Vor allem die Bassistin, Kim Gordon. Sie war für mich als Teenager mit ein Grund, Musik zu machen. Ihr Jungs habt ja immer schon Elvis und die ganzen anderen Rockstars gehabt. Für Mädels war die Rolle als Backgroundsängerin und Sexsymbol reserviert. Mit Kim Gordon änderte sich das für mich schlagartig."

Auf die Feststellung hin, dass man nicht damit gerechnet hätte, mit einer der maßgeblichen Vertreterinnen des Dancefloors der letzten zehn Jahre nun über Noise-Rock zu sprechen, meint Murphy: "Stimmt schon, ja. Aber als Tänzerin habe ich vor keiner Musik Berührungsängste." Im Gegenteil: "Je überraschender ein DJ in einem Club Musik auflegt, desto energischer wird Frau Murphy auf seiner Tanzfläche abarbeiten."

Beim Abarbeiten kann man Róisín Murphy nun zuschauen. Am Freitag präsentiert sie im Rahmen des Wiesner Jazzfestivals ihr Album live. Weitere Highlights des Festivals: Rebekka Bakken, Trio Exklusiv, Omara Portuondo, Gato Barbieri und Deodato. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.07.2005)